Die blutige Sonne
so einschlafen und niemals mehr erwachen …
Schon trieb sie davon, und einen Augenblick lang war Kindra in ihrer Verzweiflung versucht, sie sterben zu lassen. Das Gesetz verbietet mir zu sprechen . Und wenn sie sprach, dann würde Annelys, bereits der Heldenverehrung für Kindra verfallen, bereits gegen das Geschick einer Frau rebellierend, Annelys, die einen Vorgeschmack davon bekommen hatte, wie stolz es machte, sich selbst verteidigen zu können, ihr ebenfalls folgen. Kindra wußte es in einer seltsamen Vorausschau, die sie schaudern ließ.
Sie gab dem Zorn in ihrem Herzen nach und ließ ihn überfließen. Sie schüttelte die namenlose Frau wach, die sich bereits dem Tod anheimgegeben hatte.
»Hör mir zu! Hör zu! Du darfst nicht sterben!« erklärte sie wütend. »Nicht nachdem du soviel erduldet hast! Das ist der Weg eines Feiglings, und du hast wieder und wieder bewiesen, daß du kein Feigling bist!«
»Und trotzdem bin ich ein Feigling«, sagte die Frau. »Ich bin zu feige dazu, auf die einzige Weise zu leben, die einer Frau wie mir offensteht – durch die Mildtätigkeit von Frauen wie meine Mutter oder die Gnade von Männern wie mein Vater oder Narbengesicht! Ich träumte davon, wenn ich meine Rache vollzogen hätte, würde ich einen anderen Weg finden. Aber es gibt keinen.«
Kindra konnte sich nicht mehr beherrschen. Verzweifelt blickte sie über den Kopf der namenlosen Frau in Annelys’ ängstliche Augen. Sie schluckte. Es war ihr wohl bewußt, wie schwerwiegend der Schritt war, den sie tun wollte.
»Es … es mag einen anderen Weg geben«, sagte sie zögernd. »Du, ich weiß nicht einmal deinen Namen. Wie heißt du?«
»Ich bin namenlos«, antwortete die Frau unbewegten Gesichts. »Ich habe geschworen, niemals mehr den Namen zu nennen, den mir der Vater und die Mutter, die mich verstießen, gaben. Könnte ich am Leben bleiben, würde ich einen anderen Namen annehmen. Nenn mich, wie du willst.«
Von einer Woge heiligen Zorns mitgerissen, faßte Kindra ihren Entschluß. Sie zog das Mädchen an sich.
»Ich werde dich Camilla nennen«, sagte sie. »Denn von diesem Tag an, das schwöre ich, werde ich dir Mutter und Schwester sein, wie es die gesegnete Cassilda für Camilla war. Und das schwöre ich dir, Camilla, du sollst nicht sterben.« Sie zog das Mädchen hoch. Dann holte sie tief und entschlossen Atem, reichte ihr eine Hand Camilla und die andere Annelys und begann:
»Meine kleinen Schwestern, laßt mich euch von der Schwesternschaft der Freien Frauen erzählen, die die Männer die Freien Amazonen nennen. Laßt mich euch berichten vom Leben der Entsagenden, den Eidgebundenen, den Comhi-Letzii …«
Nachwort
Zwar hat Marion Zimmer Bradley auch eine Anzahl von thematisch nicht miteinander verbundenen Romanen geschrieben, aber ihr Name ist untrennbar mit jenem Planeten Darkover verbunden, auf dem bislang 13 Romane und einige Kurzgeschichten angesiedelt sind (darunter ein paar Kurzgeschichten, die nicht von ihr sind, sondern aus einem Darkover-Fankreis – „Friends of Darkover“ – stammen und jüngst in einem Taschenbuch in Amerika vorgestellt wurden).
Darkover, das darf man wohl sagen, ist das Lebenswerk der 1930 geborenen Autorin, die auch privat so sensibel wirkt, wie es ihre Romane vermuten lassen. Was also ist Besonderes an Darkover, was übt diese Faszination aus, die eine Autorin dazu bringt, immer wieder über dieses eine Thema zu schreiben, und eine über die Jahre stetig angewachsene Leserschaft in den Bann schlägt?
Zunächst einmal, und das ist wohl wichtig, ist der Darkover-Zyklus keine Serie im herkömmlichen Sinne. Die einzelnen Romane schildern Ereignisse und greifen Themen auf, die einem Gesamtkonzept -nämlich der Entwicklung einer menschlichen, von Psi-Kräften bestimmten Zivilisation auf einem anderen Planeten – folgen, aber ansonsten nicht aufeinander aufbauen. Man muß deshalb die anderen Romane nicht gelesen haben, um Gefallen an einem einzigen zu finden oder um den Ereignissen in voller Breite folgen zu können, die diesem bestimmten Roman zugrunde liegen. Und tatsächlich hat Marion Zimmer Bradley die Darkover-Romane auch durchaus nicht chronologisch geschrieben, sondern griff sich nach Gusto jeweils Themen heraus, die zu durchaus verschiedenen Epochen des Planeten gehören.
Eines allerdings haben alle Darkover-Romane miteinander gemein: den großen thematischen Rahmen zum einen, den Konflikt zwischen aufeinanderprallenden Gegensätzen zum anderen.
Der
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