Die blutige Sonne
goldenen Pollen bedecken. Deshalb rief man sie, schon als sie zu laufen begann, mit dem Kosenamen Goldene Glocke , der volkstümlichen Bezeichnung für die Kireseth -Blume. Und als die Jahre vergingen, geriet es bei den meisten Leuten in Vergessenheit, daß Dorilys Aillard (denn ihre Mutter war eine Nedestro -Tochter jener mächtigen Domäne gewesen) jemals einen anderen Namen als Cleindori getragen hatte.
Sie war zu einem scheuen, ernsthaften jungen Mädchen herangewachsen, jetzt dreizehn Jahre alt, das Haar von einem sonnigen Kupfergold. Es war Trockenstädter-Blut im Ridenow-Clan, und zudem sei ihrer Mutter Vater, so wurde geflüstert, ein Trockenstadt-Räuber aus Shainsa gewesen; aber dieser alte Skandal war lange vergessen. Angesichts des fraulichen Körpers und ernsten Blicks seiner letztgeborenen Tochter kam Damon zum ersten Mal in seinem Leben der Gedanke, daß er alt wurde.
»Bist du heute den ganzen Weg von Armida hergeritten, mein Kind? Was hatte dein Pflegevater dazu zu sagen?«
Cleindori lächelte und küßte ihren Vater auf die Wange. »Er hat nichts gesagt, weil ich es ihm nicht erzählt habe«, gestand sie fröhlich. »Aber ich war nicht allein, denn mein Pflegebruder Kennard ist mit mir gekommen.«
Cleindori war mit neun Jahren, wie es der Brauch in den Domänen war, in Pflege gegeben worden, damit sie unter einer weniger zärtlichen Hand als der einer Mutter zur Frau heranwachse. Sie kam zu Valdir, Lord Alton, dessen Frau Lori nur Söhne hatte und sich nach einer Tochter sehnte. Man hatte darüber gesprochen, daß Cleindori, wenn sie alt genug dazu war, mit Lord Altons älterem Sohn Lewis-Arnard verheiratet werden könne. Doch Damon vermutete, daß Cleindori noch keinen Gedanken an eine Ehe verschwendete. Sie und Lewis und Valdirs jüngerer Sohn Kennard waren Schwester und Brüder. Damon begrüßte Kennard, einen stämmigen, breitschultrigen, grauäugigen Jungen, ein Jahr jünger als Cleindori, mit der unter Verwandten üblichen Umarmung und sagte: »Dann hat meine Tochter auf dem Weg also guten Schutz gehabt. Was führt euch her, Kinder? Wart ihr auf der Falkenjagd und habt euch verspätet? Und dann habt ihr euch wohl entschlossen, diesen Weg zu nehmen, weil ihr meint, für Ausreißer werde es hier Kuchen und Süßigkeiten, zu Hause aber zur Strafe nur Wasser und Brot geben?« Aber er lachte dabei.
»Nein«, antwortete Kennard ernsthaft, »Cleindori sagte, sie müsse dich sprechen, und meine Mutter hat uns erlaubt zu reiten. Nur glaube ich nicht, daß ihr ganz klar war, wonach wir fragten und was sie antwortete, denn es ist immerzu Aufregung in Armida gewesen, seit die Nachricht eintraf.«
»Welche Nachricht?« Damon beugte sich vor. Doch er wußte es bereits, und das Herz wurde ihm schwer. Cleindori rollte sich auf einem Kissen zu seinen Füßen zusammen und blickte zu ihm auf. »Lieber Vater, vor drei Tagen kam die Lady Janine von Arilinn nach Armida geritten. Sie war auf der Suche nach einer, die Amt und Würde der Lady von Arilinn, die tot ist, übernehmen könne, der Leronis Leonie.«
»Sie hat lange genug gebraucht, um nach Armida zu kommen.« Damon verzog einen Mundwinkel. »Zweifellos hat sie ihre Tests vorher in allen anderen Domänen durchgeführt.«
Cleindori nickte. »Das glaube ich auch. Denn als sie erfuhr, wer ich sei, sah sie mich an, als rieche sie etwas Unangenehmes, und sie sagte: ›Du bist also von dem Verbotenen Turm. Bist du in irgendeiner ihrer Häresien unterrichtet worden?‹ Als Lady Lori ihr meinen Namen nannte, wurde sie nämlich zornig, und ich mußte ihr berichten, daß meine Mutter mir den Namen Dorilys gegeben habe. Dann sagte Janine: Nun, das Gesetz verpflichtet mich, dich auf Laran zu testen. Das kann ich dir nicht verweigern.«
Sie machte dabei Mimik und Stimme der Leronis nach. Damon bedeckte die untere Hälfte seines Gesichts mit der Hand, als denke er nach, doch in Wirklichkeit wollte er sein Grinsen verbergen. Cleindori hatte eine Begabung für Imitationen, und sie hatte den sauren Ton und mißbilligenden Blick der Leronis Janine genau wiedergegeben. Damon erklärte: »Ja, Janine war unter denen, die mich hätten blenden oder bei lebendigem Leibe verbrennen lassen, als ich mit Leonie um das Recht kämpfte, das Laran , das die Götter mir schenkten, nach eigener Wahl und nicht nach den Vorschriften Arilinns zu benutzen. Es wird nicht gerade ihre Liebe erwecken, Kind, daß du meine Tochter bist.«
Wieder lächelte Cleindori fröhlich. »Ich kann sehr
Weitere Kostenlose Bücher