Die Botschaft Der Novizin
samtschwarzer Hut. So hatten sie sich vor nicht ganz zwei Monaten kennengelernt. Seinen rechten Handschuh hatte er abgestreift und winkte ihr mit der unbedeckten Hand. Unverwandt sah er zu ihr her. Vater saß mit dem Rücken zu ihm, sodass er ihn nicht sehen konnte. Isabella wagte nicht, den jungen Mann dort allzu lange zu mustern. Vor allem deshalb, weil der Lehrling neben ihr unverschämt zu grinsen begann und Vater Verdacht schöpfen konnte. Nicht einmal ein Zeichen durfte sie geben. Marcello war aus allen Wolken gefallen, als er von ihrem Bruder erfahren hatte, dass sie nach San Lorenzo gebracht werden würde. Vater hatte ihm verboten, sie zu verabschieden. Vermutlich hatte der alte Mann durch den Bruder von ihrer Verbindung zum jungen Tanti erfahren. Isabella senkte den Blick und starrte auf die Bilge im Boot. In ihr spiegelte sich ein Himmel, der keine Grenzen kannte und durch das Schwarz des Innenanstrichs grundlos erschien in seiner Tiefe.
Isabella biss sich auf die Lippen. Wenn sie selbst nicht am Schmerz der Trennung zugrunde gehen wollte, musste sie Marcello jetzt wehtun. Kurz sah sie hoch, blickte dem jungen Mann, der sich so sehr um sie bemüht hatte, in die Augen und schüttelte so langsam, dass es Vater nicht auffiel, den Kopf. Dann überließ sie sich ganz der Ankunft auf der Piazza.
Der Gondoliere brachte sie bis an den Anlegeplatz unterhalb der Brücke, ließ sie aussteigen und vertäute das Boot. Ihr Vater wies den Mann mit einem kurzen Befehl an, auf ihn zu warten, als er ihm half, die Wäschetruhe der Tochter auszuladen. Der Lehrling, der als Erster an Land gesprungen war, stand daneben und wusste nicht, wohin er greifen sollte, bis er mit einer Maulschelle von seinem Meister in die richtige Richtung gelenkt wurde und zupackte. Isabella tat der Kerl nicht leid. Er hatte sich die Ohrfeige wegen seines Grinsens verdient.
»Komm, Kind. Die Tante wartet.«
Giuseppe Marosini half Isabella aus dem Boot. Sie betrachtete die Hände ihres Vaters, als wollte sie sich noch nach Jahrzehnten daran erinnern können. Sie wirkten rau und waren von Schrunden überzogen. Die kräftigen Fingernägel gilbten bereits ein. Eine Altersfarbe, wie der Vater immer behauptete. Tatsächlich kam sie jedoch von den Tinkturen und Tuschen, von den Papieren und Bleilettern, mit denen der Vater tagtäglich zu tun hatte. Auch wenn er selbst längst nicht mehr Hand anlegte, die Verfärbungen hatten sich tief in die Haut eingegraben und würden nicht mehr verblassen.
Isabella lächelte bitter, als sie die Kirche mit ihrer achteckigen Kuppel vor sich aufragen sah, halb hinter anderen Gebäuden verborgen. Weit mächtiger und größer jedoch war der gewaltige, fast fensterlose Hauptbau des Klosters auf der anderen Seite des Platzes, als wolle er der Kirche ein Gegengewicht bieten. Zu zweit hatten Vater und der Lehrling die Truhe vor die Pforte geschleppt.
»San Lorenzo, eines der ältesten Frauenklöster in Venedig«, versuchteder Vater ihr das Gebäude zu erklären, obwohl sie das längst wusste. »Es wurde gegründet, da gab es die Stadt noch gar nicht.« Beinahe hätte Isabella laut hinzugefügt, deshalb nehmen sie auch Töchter aus mittlerem Hause auf. Die Mitgift nach einem Jahr als Educanda war nicht allzu hoch. Niedriger jedenfalls als die für San Zaccaria oder San Biagio e Cataldo.
»Es wirkt bedrohlich«, sagte sie leise und blickte die wuchtige Ziegelfassade der Kirche hinauf.
»Deiner Tante hat es dort gefallen. Sie ist gern in den Konvent eingetreten und hat sich wohl gefühlt. Sie freut sich auf dich.« Diesmal räusperte sich der alte Marosini, weil er seiner eigenen Lüge nicht glaubte. Jeder in der Familie wusste, wie sehr Vaters Schwester unter ihrem Schicksal gelitten hatte. Um die Druckerei erhalten zu können, war sie von Großvater Eugenio damals ins Kloster gesteckt worden. Gegen ihren Willen – und doch hatte sie sich dem Familienoberhaupt gebeugt. Selbst ein ehemaliger Verehrer aus reichem Hause war abgewiesen worden, weil man sich der Schande, keine Mitgift auszahlen zu können, nicht hatte aussetzen wollen. Außerdem war darüber gemunkelt worden, sie hätte ohnehin nur als Gespielin dieses Mannes geendet. Diesem Gerücht wollte man mit dem Klostereintritt einen zusätzlichen Riegel vorschieben.
Der Eingang zum Konvent lag im Sonnenlicht. Das dunkle Holz der Pforte glänzte. Die Meersalzkristalle, die der Wind an die Türen und Wände gesprüht hatte, glitzerten, als wären es Juwelen. Als ihr Vater
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