Die Bourne-Identität
drei Zentimeter.«
Der Schlachter seufzte und zuckte die Achseln. Höflich murmelte er eine Entschuldigung und versprach zugleich, sich heute mehr Mühe zu geben. Die Frau wandte sich ihrem Begleiter zu, wobei ihre Stimme keine Spur weniger befehlsgewohnt klang als bei ihrem Dialog mit dem Fleischer.
»Warte auf die Pakete und leg sie in den Wagen. Ich gehe inzwischen zum Lebensmittelhändler, wir treffen uns dort.«
»Natürlich, meine Liebe.«
Die Frau ging hinaus, wie eine Taube, die neue Körner suchte, auf denen sie herumpicken konnte. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, als der Mann sich dem Ladenbesitzer zuwandte, wobei sich sein Verhalten völlig änderte. Die Arroganz war wie weggewischt, und er grinste.
»Der übliche Tag für dich, nicht wahr, Marcel?« sagte er und holte ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche.
»Es geht. Waren die Koteletts wirklich zu dünn?«
»Mein Gott, nein. Wann hat der das schon unterscheiden können? Aber sie fühlt sich wohler, wenn ich mich beklage, das weißt du ja.«
»Wo ist der Marquis, dieser Mistkerl, jetzt?«
»Betrunken nebenan; er wartet auf die Hure aus Toulon. Ich hole ihn heute nachmittag wieder ab und schmuggle ihn an der Marquise vorbei in den Stall. Er benutzt Jean-Pierres Zimmer über der Küche, wie dir bekannt ist.«
»Ich habe es gehört.«
Als Washburns Patient den Namen Jean-Pierre hörte, wandte er sich von dem Schaukasten mit Geflügel ab. Das war ein automatischer Reflex, aber die Bewegung erinnerte den Fleischer an seine Anwesenheit.
»Was ist? Was wollen Sie?«
Das war der Augenblick, den gutturalen Akzent abzulegen. »Freunde in Nizza haben Sie mir empfohlen«, sagte der Patient im Pariser Französisch.
»Oh?« Der Ladenbesitzer schien seine Haltung sofort zu ändern. Unter seiner Kundschaft, besonders unter den jüngeren Leuten, gab es welche, die es vorzogen, sich nicht statusgemäß zu kleiden. Heutzutage galt das gewöhnliche Baskenhemd sogar als modisch. »Sind Sie neu hier, mein Herr?«
»Mein Boot wird gerade repariert; wir schaffen es heute nachmittag nicht mehr bis Marseille.«
»Kann ich etwas für Sie tun?«
Der Patient lachte. »Für meinen Koch vielleicht; ich möchte ihm aber nichts vorschreiben. Er kommt später vorbei. Ich habe schon einigen Einfluß auf ihn.«
Der Fleischer und sein Freund lachten. »Das kann ich mir denken, mein Herr«, sagte der Ladenbesitzer.
»Ich brauche ein Dutzend Enten und ... achtzehn Chateau-briands.«
»Wird erledigt.«
»Gut. Ich werde den großen Meister der Kombüse direkt zu Ihnen schicken.« Der Patient wandte sich dem Mann in mittleren Jahren zu. »Übrigens, ich habe unwillkürlich mit zugehört ... Nein, bitte, seien Sie unbesorgt. Der Marquis ist doch nicht etwa dieser Esel d'Ambois, oder? Ich glaube, jemand hat erwähnt, daß er hier lebt.«
»Oh, nein, mein Herr«, erwiderte der Angestellte. »Ich kenne den Marquis d'Ambois nicht. Ich meinte den Marquis de Chamford. Ein sehr feiner Herr, aber er hat Probleme: eine schwierige Ehe, mein Herr - eine sehr schwierige; das ist allgemein bekannt.«
»Chamford? Ja, ich glaube, wir sind uns schon begegnet. Ziemlich klein, nicht wahr?«
»Nein, Sir. Eigentlich sogar recht groß. Etwa Ihre Größe, würde ich sagen.«
»Wirklich?«
Mit den verschiedenen Eingängen und Innentreppen des zweistöckigen Cafés machte der Patient sich schnell vertraut - als Lebensmittellieferant aus Roquevaire, der seine neue Tour noch nicht richtig kannte. Es gab zwei Treppen, die ins Obergeschoß führten, eine von der Küche aus, die andere gleich hinter dem Eingang von dem kleinen Vorraum; das war die Treppe, die von den Gästen benutzt wurde, die zur Toilette in der obersten Etage wollten. Diese Treppe konnte man durch ein Fenster von außen beobachten, und der Patient war sicher, daß er, wenn er nur lange genug wartete, zwei Leute beim Gang nach oben sehen würde. Sie würden ohne Zweifel getrennt hinaufgehen, und zwar keiner von beiden zur Toilette, sondern zu einem Schlafzimmer über der Küche. Der Patient fragte sich, welches der teuren Autos, die auf der stillen Straße parkten, dem Marquis de Chamford gehörte. Aber welches auch immer es sein mochte, der Bedienstete in dem Fleischerladen brauchte sich keine Sorgen zu machen; sein Brotgeber würde es bestimmt nicht steuern.
Geld!
Die Frau traf kurz vor ein Uhr ein. Es war eine vom Wind zerzauste Blondine, deren großen Brüste die blaue Seide der Bluse spannten. Sie hatte
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