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Die Hurenkönigin und der Venusorden

Die Hurenkönigin und der Venusorden

Titel: Die Hurenkönigin und der Venusorden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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Prolog
    Die Hurenkönigin stand Hand in Hand mit Alma und Irene in einem langen Reigen von Frauen. Das Licht des Vollmonds, der über den Wipfeln der Ulmen aufgegangen war, tauchte die Waldwiese in silbernen Glanz. Der Duft von Wiesenkräutern, durchsetzt vom würzigen Geruch des Waldes, stieg ihr in die Nase. Zarte Nebelschwaden hingen über dem Gras. Aus dem Ulmenhain drang plötzlich der Ruf eines Käuzchens und durchbrach die gespenstische Stille.
    Mehr als hundert Venusschwestern waren auf der Lichtung versammelt. Sie trugen Blumenkränze im Haar und waren in ockerfarbene Gewänder gekleidet, und alle verharrten in tiefer Andacht. Die Hurenkönigin sah Frauen jeglichen Alters und unterschiedlichster Herkunft. Erstaunt gewahrte sie, dass sich auch einige Männer in dem Kreis befanden. Sie hatten Frauenkleider an, und das Mondlicht fiel auf ihre geschminkten Gesichter.
    Nach einer Weile löste sich Alma aus dem Kreis und trat in die Mitte. Das alterslose Gesicht der Hohepriesterin verströmte Würde und Schönheit, als sie sich ehrfürchtig herunterbeugte und die Erde küsste. Langsam richtete sie sich wieder auf und schaute mit ausgebreiteten Armen in den Sternenhimmel. Ihr Blick verweilte auf dem Abendstern, der hell und klar am Firmament prangte. Das gleißende Sternenlicht fiel auf sie herab, und vor den staunenden Augen der Hurenkönigin wandelte sie sich zur sternengekrönten Venus, deren betörend schönes Antlitz die Züge von Irene trug.
    »Höret die Worte der Großen Mutter«, sprach die Göttin mit dunkler, wohltönender Stimme aus ihr. »Die einst Artemis, Astarte, Diana, Melusine, Aphrodite und Venus genannt ward und viele andere Namen trug: Wann immer ihr mir nahe sein wollt, sollt ihr euch bei Vollmond an einem geheimen Ort zusammenfinden und mich anbeten, mich, die Königin aller Weisheit. Ihr sollt frei sein von jeglicher Sklaverei, und als Zeichen eurer Freiheit sollt ihr eure Riten nackt vollziehen.«
    Die Göttin streifte ihr Gewand ab. Ihr Körper war der Inbegriff weiblicher Anmut.
    Die Hurenkönigin war wie geblendet von ihrer Schönheit. Auch sie zog sich, ebenso wie die anderen Frauen und Männer im Kreis, das Kleid über den Kopf.
    »Singt, feiert, tanzt und liebt euch in meiner Gegenwart«, sagte Venus mit verführerischem Lächeln. »Denn ich bin die Göttin der Liebe!«
    Die Hurenkönigin fühlte sich von einer mächtigen Woge der Lust ergriffen. Sie hätte nicht sagen können, ob es Alma war, eine der anderen Frauen – oder gar die Göttin selbst – , mit der sie sich vereinigte, es gab einfach keine Grenzen mehr, und sie hatte das unbeschreibliche Gefühl, mit allem eins zu sein. Wie lange die Glückseligkeit anhielt, wusste sie nicht, und auch nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie aus ihrem lustvollen Traum erwachte. Es erschien ihr endlos wie die Ewigkeit und gleichzeitig so jäh vergangen wie eine Sternschnuppe am Abendhimmel.
    Noch ganz benommen schaute sie sich um. Das Mondlicht war dem Morgengrauen gewichen, eine bleierne Stille lastete auf der Lichtung, und die Nebelschwaden wurden immer dichter. Mit lautlosem Flügelschlag huschte eine große Eule an ihr vorbei, und die Hurenkönigin begann unversehens zu frösteln. In diesem Moment gewahrte sie im Morgennebel eine schattenhafte Gestalt, die von grauen Schleiern umhüllt war.
    Wie gelähmt vor Angst starrte die Hurenkönigin auf die düstere Erscheinung, die bedrohlich auf sie zukam.
    »Venus ist nicht allein die Göttin der Liebe«, verkündete die graue Gestalt mit furchterregender Stimme. »Sie ist auch die Königin der Schatten, die über den Tod regiert!«
    Entsetzt sah die Hurenkönigin, dass sie eine Sichel in den Händen hielt.
    Sie schrie laut auf und rannte um ihr Leben.

1
    Dienstag, 20 . März 1512 – Frühlingsanfang
    Um die siebte Abendstunde legte die alte Irmelin noch ein paar Holzscheite in die Glut des Kachelofens, ergriff den Krug mit heißem Würzwein, der auf der Ofenbank stand, und schenkte zwei Becher voll.
    Sie trat ans Fenster und reichte einen davon der Hurenkönigin, die im Lehnstuhl saß und mit der Spindel Garn spann.
    »Vom Frühling merkt man ja noch nichts«, sagte Irmelin und spähte durch die gefrorenen Butzenglasscheiben. »Jetzt fängt es sogar noch an zu schneien. Da werden sie sich morgen auf der Frühjahrsmesse ganz schön den Arsch abfrieren.«
    »Solange sie sich sonst nichts abfrieren, soll mir das egal sein«, erwiderte die Gildemeisterin Ursel Zimmer mit grimmigem

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