Cowboy - Riskanter Einsatz
1. KAPITEL
S ie war so gut wie tot.
Ihre Chancen, dieses gottverdammte Land lebend zu verlassen, waren jetzt schon gering. Und sie wurden von Minute zu Minute geringer.
Melody Evans saß in einer Ecke des fensterlosen Büros, das ihr zum Gefängnis geworden war. Sie schrieb einen Brief an ihre Schwester – in der verzweifelten Hoffnung, dass es vielleicht doch nicht ihre letzten Zeilen werden würden.
Liebe Brittany! Ich habe entsetzliche Angst zu sterben …
Sie fürchtete sich davor, dass man ihr jeden Augenblick eine Kugel in den Kopf jagen würde. Aber vielleicht wäre das sogar ein gnädiger Tod. Denn schließlich gab es auch noch andere, weit schrecklichere Möglichkeiten, ihr Leben zu beenden. Sie hatte von den Foltermethoden gehört, die in diesem Teil der Welt gebräuchlich waren – von anderen archaischen, furchtbaren Praktiken. Gott möge ihr helfen, wenn sie erst einmal herausfanden, dass sie eine Frau war …
Melodys Herz raste. Sie zwang sich dazu, tief und langsam zu atmen, um sich zu beruhigen.
Erinnerst Du Dich noch, wie Du mich zum Schlittenfahren auf den Hügel in der Apfelplantage mitgenommen hast? Du hast dich hinter mich gesetzt und mir mit dramatischer Stimme erklärt, dass wir jetzt entweder schnurgerade zwischen den Bäumen hindurch hinabfahren würden – oder dabei sterben.
Melodys ältere Schwester war stets die Abenteuerlustigere von ihnen beiden gewesen. Trotzdem war es ausgerechnet Brittany, die immer noch in ihrem Elternhaus zu Hause in Appleton lebte. In der vierstöckigen Villa im viktorianischen Stil waren sie beide aufgewachsen. Und es war Melody gewesen, die aus einem unerklärlichen Impuls heraus den Job als Assistentin des amerikanischen Botschafters angenommen hatte. In einem Land, von dem sie bis vor einem halben Jahr nicht einmal gewusst hatte, dass es überhaupt existierte.
Ich kann kaum älter als sechs gewesen sein, aber ich weiß noch genau, dass ich dachte: Dann sterben wir wenigstens zusammen.
Ich wünschte, ich würde mich jetzt nicht so unendlich allein fühlen …
„Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die Ihnen erlauben, das da abzuschicken, oder?“ Kurt Matthews Stimme troff nur so von Hohn.
„Nein, natürlich nicht“, antwortete Melody, ohne auch nur aufzuschauen. Ihr war klar, dass sie diesen Brief nicht für Brittany schrieb, sondern für sich selbst. Sie schrieb ihn, um ihre Kindheitserinnerungen wieder lebendig werden zu lassen. Vielleicht brachten sie ihr ein wenig von dem Frieden und dem Glück ihrer Kindheit zurück. Sie schrieb über eine Zeit, in der sie verzweifelt bemüht gewesen war, mit ihrer fast neun Jahre älteren Schwester mitzuhalten. Sie übersprang die geschwisterlichen Reibereien und Streitigkeiten, erinnerte sich nur an Brittanys Geduld und Zuneigung.
Brittany hatte schon immer sehr viel Aufhebens um Melodys Geburtstag gemacht. So auch dieses Jahr. Obwohl Tausende von Meilen zwischen Mel und dem Neuengland-Charme ihrer Heimatstadt in Massachusetts lagen, hatte Britt ihr ein riesiges Paket voller Geburtstagsüberraschungen geschickt. Sie hatte es sogar so rechtzeitig gepackt, dass Melody es bereits vor vier Tagen erhalten hatte – mehr als eine Woche vor ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag.
Inzwischen war sie froh, dass sie sich nicht an Britts schriftliche Anweisungen gehalten hatte. Statt bis zu ihrem großen Tag zu warten, hatte sie die Geschenke sofort geöffnet. Britt hatte ihr fünf Paar warme Socken geschickt, einen dicken Wollpullover und ein Paar neue Turnschuhe. Das waren die praktischen Geschenke. Zu den Geschenken, die einfach nur Freude bereiten sollten, gehörten eine CD des Countrymusikers Garth Brooks, der neueste romantische Thriller von Tami Hoag, ein Glas Erdnussbutter und zwei Videokassetten, auf denen Britt die vergangenen drei Monate Emergency Room aufgenommen hatte. Ganz Amerika in einem Paket! Melody musste beim Auspacken gleichzeitig lachen und weinen. Das war das beste Geburtstagsgeschenk, das sie je bekommen hatte!
Jetzt sah es allerdings ganz so aus, als würde sie nicht mehr lange genug leben, um jemals wieder eine Folge der Serie zu sehen. Oder auch nur, um ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag zu erleben.
Kurt Matthews beachtete sie nicht mehr. Er hatte wieder seine strohdumme Diskussion mit Chris Sterling aufgenommen. Die beiden überlegten laut, wie viel CNN ihnen wohl für die Exklusivrechte an ihrer Geschichte zahlen würde – nachdem die Verhandlungen zwischen den Terroristen und den
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