Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
Mahlzeiten, bei denen die Ritter nicht selten unter mehreren Gerichten die Auswahl hatten, fielen eigentlich stets sehr großzügig aus. Schon weil es zur Ordensregel gehörte, dass von jeder Mahlzeit genug für die Armen und Bettler übrig bleiben sollte. Solange der Kommandant oder sein Vertreter am Kopfende des Refektoriums saß, durfte sich kein Ritter von seinem Platz erheben – außer es fiel etwas vor, was eine augenblickliche Reaktion notwendig machte, beispielsweise ein Feuer oder ein gegnerischer Angriff. Die Disziplin und der unbedingte Gehorsam, die von einem Templer erwartet wurden, beschränkten sich nicht allein auf den Kampf gegen die Ungläubigen, sondern bestimmten auch den Alltag der Kriegermönche. Zwei Templer, die sich eines Verstoßes gegen die zweiundsiebzig Regeln des Ordens schuldig gemacht hatten, saßen zur Strafe einige Schritte von den Tischen entfernt auf dem nackten Boden und nahmen dort ihr Essen mit gesenktem Haupt in Empfang. Diese demütigende Bestrafung sollte augenfällig machen, dass die Delinquenten für eine gewisse Zeit mit den anderen Ordensbrüdern buchstäblich nicht mehr auf gleicher Augenhöhe standen. Gelegentlich hörte man den Einschlag eines Wurfgeschosses. Zwar hatte mit Anbruch des Tages der heftige Beschuss ein vorläufiges Ende gefunden. Aber dann und wann flog doch noch ein Feuertopf oder ein Felsbrocken über die Mauern in die Stadt, erschlug Menschen und setzte Häuser in Brand. Es war, als wollten die Mamelucken die Eingeschlossenen unablässig daran erinnern, dass der Dauerbeschuss jederzeit wieder einsetzen konnte und dass es keine Aussicht auf eine Verbesserung ihrer Lage gab. Die Ungewissheit, wann und wo das nächste Geschoss Tod und Vernichtung brachte und zu welcher Stunde der nächste Großangriff stattfinden würde, gehörte zum erprobten Nervenkrieg einer Streitmacht, die eine stark befestigte, wehrhafte Stadt einzunehmen versuchte. Der Marschall, der wenig Appetit gezeigt und mit brütendem Blick in Holznapf und Humpen gestarrt hatte, erhob sich schließlich von seinem Lehnstuhl. Worauf auch alle anderen Ritter schlagartig von den Bänken aufstanden. Es klang wie eine Abteilung perfekt gedrillter Leibgardisten, die vor ihrem Herrscher Haltung annahm. Die Mahlzeit wurde mit einem gemeinsamen Dankesgebet beendet. Draußen im Hof traf Gerolt mit Theoderich von Ebersburg zusammen, der die Mosel einige Meilen flussabwärts von Trier seine Heimat nannte. Der redefreudige Ritter war von sehnig zäher Gestalt, und obwohl er wahrlich kein Kostverächter war und bei allen Mahlzeiten stets kräftig zulangte, sah sein knochig verhärmtes Gesicht so aus, als stünde er kurz vor dem Verhungern. Die beiden Männer verband eine gewisse Freundschaft, die sich bei Gerolt jedoch mehr auf landsmannschaftliche Verbundenheit als auf tiefere kameradschaftliche Zuneigung gründete. Zumal Theoderich auch die manchmal recht lästige Angewohnheit hatte, immer alles genau wissen zu wollen, dabei vom Hölzchen aufs Stöckchen zu kommen und auch noch endlos in Erinnerungen an einstige glorreiche Templergefechte zu schwelgen. »Ich habe schon von deinem Glanzstück heute Morgen gehört, Gerolt. Alle Hochachtung!«, sprach Theoderich ihn auch gleich mit der ihm eigenen Leutseligkeit an und bedachte ihn mit einem anerkennenden Blick. »Du hast den schmutzigen Trick der Muselmanen als Erster durchschaut, wie man sich erzählt. Nicht auszudenken, wenn es ihnen wirklich gelungen wäre, die Templer-schanze zu nehmen und das St.-Lazarus-Tor zu öffnen! Das hätte das Ende von Akkon bedeuten können!« »So dramatisch, wie es dir wohl zu Ohren gekommen ist, war es gar nicht«, wiegelte Gerolt sogleich ab, auch wenn er sich insgeheim über die Anerkennung des gut fünf Jahre älteren Ritters freute. »Unsere Wachen hätten bestimmt sowieso bald Alarm geschlagen. Ich denke, ich bin ihnen nur ein paar Augenblicke zuvorgekommen, das ist alles.« »Muss dennoch ein ganz schön hartes und blutiges Gefecht gewesen sein. Du musst mir alles genau erzählen!«, sagte Theoderich. »Ich wünschte, ich wäre auch dabei gewesen, Gerolt. Ist schon viel zu lange her, seit ich das letzte Mal einen Muslim zur Hölle geschickt habe! Wird allmählich Zeit, dass ich diese verfluchten Turbanträger mal wieder vor die Klinge kriege!« »Dazu wirst du noch reichlich Gelegenheit bekommen«, erwiderte Gerolt trocken. »Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, dürfte die Entscheidung darüber, an welchem Ort wir
Weitere Kostenlose Bücher