Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
charakteristische Merkmale aus jener Zeit trug, standen seit den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden mächtigsten italienischen Handelsmächten und erbitterten Rivalen Venedig und Genua im Jahre 1256 viele Häuser und Geschäfte leer. Die meisten Genueser hatten Akkon danach verlassen. Und wegen der anhaltenden Streitigkeiten und unklaren Besitzverhältnisse verfielen in jeder Straße zahlreiche Wohnhäuser und Geschäfte. Auch traf man in diesem Viertel überall auf niedergebrannte und nun in Trümmern liegende Gebäude, deren Wiederaufbau seither niemand in Angriff genommen hatte. Hinter dem Viertel erhob sich über den Dächern der Hügel Montjoie mit dem Kloster St. Sabas, der das Quartier der Venezianer von dem der Genueser trennte. Gerolt hätte seinen Begleiter lieber weiterhin mit eisigem Schweigen gestraft. Aber ihm war klar, dass er sich damit ins Unrecht gesetzt und sich ehrlos verhalten hätte. Denn dass der Franzose seine Entschuldigung ernst meinte, daran bestand kein Zweifel. Und deshalb durfte Gerolt auch nicht auf seinem Groll beharren und seinem Ordensbruder die Vergebung verwehren. Und so blieb er nach einigen Schritten dann doch stehen, als sie an eine Ecke gelangten, wo zu ihrer Rechten eine Gasse von ihrem Weg abzweigte. Von dort kam raues Männergelächter, dem er in diesem Moment jedoch keine Beachtung schenkte. Er gab sich innerlich einen Ruck und schaute Maurice ins Gesicht. »Also gut, ich nehme deine Entschuldigung an, Maurice von Montfontaine. Vergessen wir, was gewesen ist.« Er streckte ihm die Hand zur Versöhnung hin. Erleichtert ergriff Maurice die ihm dargebotene Hand. »Dem Himmel sei Dank! Jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen!«, gestand er mit einem schiefen Lächeln der Verlegenheit. »Wenn du wüsstest, wie schwer es mir gefallen ist, meine Dummheit einzusehen und dich um Entschuldigung zu bitten!« Gerolt zuckte die Achseln. »Ich denke, das fällt jedem schwer«, erwiderte er, obwohl ihm diese nachsichtigen Worte nicht gerade leicht über die Lippen gingen. Doch schon im nächsten Moment blickte er irritiert in die Seitengasse und zu dem recht stattlichen Haus hinüber, das zwischen einem verlassenen Anwesen und zwei Brandruinen lag und hinter dessen mannshoher Hofmauer irgendetwas vor sich ging. Denn ihm war, als hätte er im Gelächter der Männer auch das unverkennbar scharfe Klirren einer aus der Scheide fahrenden Schwertklinge gehört.
In seiner Erleichterung schien Maurice davon noch nichts bemerkt zu haben, gestand er Gerolt doch: »Manchmal hasse ich mich dafür, dass ich meine Zunge nicht im Zaum halten kann und es mir dann an der nötigen Demut fehlt, mich zu entschuldigen. Deshalb habe ich es wohl auch nicht lange bei den Schwarzkutten der Benediktiner ausgehalten. Na ja, eigentlich waren ja sie es ge wesen, die mir unmissverständlich zu verstehen gegeben haben, ihren Konvent besser heute als morgen zu verlassen und mich nach einem anderen Lebensstil umzusehen, der meinem Wesen eher entspricht als das strenge Leben hinter Klostermauern.« Verblüfft sah Gerolt ihn an, konnte er sich Maurice doch beim besten Willen nicht als Klosterbruder in einem geschlossenen Konvent vorstellen. »Was sagst du da? Ausgerechnet du wolltest mal Benediktinermönch werden?« »Ja, kaum zu glauben, nicht wahr?« Maurice verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als wäre es ihm peinlich, darüber zu reden. »Heu te weiß ich auch nicht, wie ich auf den Gedanken gekommen bin, hinter den Mauern eines Klosters mein Seelenheil finden zu können. Aber als ich das mir ausgezahlte Erbe bis auf den letzten Sou versoffen, verspielt und mit leichten Frauen durchgebracht hatte, meinte ich, dafür Sühne leisten und ein neues, gottgefälliges Leben beginnen zu müssen, um mein Seelenheil zu retten. Und da . . .« Gerolt hätte sich nur zu gern angehört, was Maurice zu erzählen hatte. Aber in diesem Moment ließ der angsterfüllte Aufschrei einer Frau, dem sofort höhnisches Gelächter aus mehreren Männerkehlen folgte, sie beide herumfahren und ihr Gespräch vergessen. »Hast du das gehört?«, stieß Gerolt hervor und deutete auf das ansehnliche Haus in der Seitengasse. »Der Schrei kam von dem Haus dort drüben mit der langen Hofmauer! Das klang, als wäre eine Frau in höchster Not!« Maurice nickte. »Den Eindruck hatte ich auch. Sehen wir nach, was da vor sich geht!« Sie liefen die Gasse hoch, vorbei an zwei Brandruinen und zum breiten Tor in der langen Umfassungsmauer.
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