Blutige Tränen (German Edition)
1
Es war eine der ersten lauen Nächte im April. Die Sterne zierten den tiefschwarzen Himmel und beleuchteten sanft den alten, verwitterten Friedhof, die bröckelnden Steinplatten, das wild wuchernde Gesträuch.
Alex seufzte zufrieden. Er hatte sich hierher zurückgezogen, um ein wenig nachzudenken. Er wusste, dass Brian diesen Platz mied, wenn es ihm möglich war. Nicht, dass er Brian nicht gern an seiner Seite hatte, doch der hübsche, sanfte Vampir wusste immer, wenn ihn etwas bedrückte. Und in diesem Moment hatte er keine Lust, darüber zu reden.
Seine Schritte waren kaum hörbar auf dem alten Kies, der die Wege bedeckte. An vielen Stellen hatte sich das Gras bereits durchgesetzt und die kleinen Steine beiseitegeschoben. Alex witterte Artgenossen auf diesem Friedhof und lächelte. Sie waren jung und unerfahren. Offensichtlich dachten sie, die vampirische Existenz sei nur auf einem alten Friedhof möglich, wahrscheinlich zogen sie sich beim Morgengrauen in ihre Särge zurück, in ihre Gräber, unwissend, welcher Luxus ihnen entging.
Alex selbst bewohnte eine noble Stadtvilla in einem teuren Londoner Viertel. Er wusste, dass er bald umziehen musste; er war schon zu lange sesshaft. Irgendwann würden seine Nachbarn misstrauisch werden.
Er würde London wieder für einige Zeit den Rücken kehren müssen, und das nagte an seinem Herzen. Er wollte nicht weg. London war seine Heimat.
Seufzend setzte er sich auf einen alten verwitterten Grabstein und starrte in den Himmel. Er würde mit Brian reden müssen – und mit Gabriel. Ob Letzterer allerdings mit ihm kommen würde, stand noch in den Sternen. Ein leises, entferntes Huschen verriet ihm, dass ein Vampir aus seinem dunklen Versteck gekrochen war, um zu jagen. Alex grinste unwillkürlich – sie bemerkten seine Anwesenheit nicht einmal.
Plötzlich fiel ihm eine merkwürdige, kreisrunde Steinplatte ins Auge. Er hatte sie vorher noch nie gesehen. Sie maß vielleicht drei oder vier Fuß im Durchmesser und war mit alten, fremden Zeichen versehen. Alex stand auf und trat auf die Platte zu. Ein Grabstein? Er beugte sich nach vorn, um die Zeichen zu entziffern, doch zu seiner Überraschung stellte er fest, dass er sie nicht lesen konnte.
Was um alles in der Welt waren das für Zeichen, was für eine Sprache, dass er sie nicht kannte?
Er kniete sich neben die Steinplatte und grub seine Finger in die lockere schwarze Erde, um die Dicke des Steines festzustellen. Und wieder wurde er überrascht, als er bemerkte, dass der Stein sich mühelos hochheben ließ.
Alex runzelte die Stirn. Wie konnte eine so massive Steinplatte sich so leicht bewegen lassen? Ohne zu zögern, hob er den Grabstein an und sah in einen Tunnel, der tief in die Erde hineinführte. Neugierig und ohne Angst steckte er seinen Kopf in das undurchdringliche Schwarz – als er plötzlich mit Schrecken spürte, wie er in diesen seltsamen Tunnel hineingesogen wurde. Er versuchte, sich zurückzuziehen, doch es ging nicht mehr! Unerbittlich wurde er in die Tiefe gezogen.
Alex fiel kopfüber in das dunkle Loch, er fiel und fiel, ohne eine Möglichkeit, seinen rasanten Sturz zu stoppen. Hart eckte er verschiedentlich an, stieß sich schmerzhaft an Vorsprüngen, die er nicht einmal hatte ausmachen können in der atemberaubenden Geschwindigkeit.
Nach einer schier endlosen Zeit des freien Falls schlug er unsanft auf dem Boden auf. Und während er darüber nachdachte, ob es angebracht sei, eilig aufzuspringen, um möglichen Angreifern zu entkommen, bemerkte er schon die Beine neben sich. Es waren mindestens drei Männer, die ihn umstellten, ihre kräftigen Waden steckten in derben Lederstiefeln.
Alex versuchte sich auf die Füße zu kämpfen, als kräftige Hände ihn packten. Er wand sich, versuchte, sich ihren Griffen gewaltsam zu entziehen – doch es war zwecklos. Diese Männer – wer immer sie auch waren – hatten ihn in ihrer Gewalt.
Sie können keine Menschen sein , schoss es Alex durch den Kopf. Er strampelte wie wild, versuchte erneut, sich loszureißen. Doch eine raue Hand packte ihn im Nacken.
»Ruhig bleiben. – Wir wollen uns doch vertragen, oder?«
Alex blickte dem Mann ins Gesicht. Es war nicht hässlich, nur ein wenig breitflächig. Mit kleinen, aber recht gutmütigen Augen. Der Mann lächelte sogar – doch um seine Lippen spielte ein ebenso unerbittlicher Zug.
Alex beendete seine Gegenwehr. »Wer seid ihr?«
Doch sein Gegenüber schüttelte den Kopf. »Nur Wächter.«
Sie packten ihn
Weitere Kostenlose Bücher