Die Bruderschaft
hatten kurz nach ihrer Ankunft Stunden in einer römischen Bibliothek verbracht und amerikanische Zeitungen aus den Tagen nach ihrer Entlassung studiert, doch sie hatten nicht die kleinste Meldung darüber gefunden. Spicers Frau behauptete, sie habe niemandem erzählt, dass er nicht mehr im Gefängnis saß. Sie glaubte noch immer, er sei geflohen.
An einem Donnerstag Ende November saß Yarber in einem Straßencafe in Monte Carlo und trank einen Espresso. Es war sonnig und warm, und ihm war nur undeutlich bewusst, dass an diesem Tag in seiner Heimat das Erntedankfest gefeiert wurde. Ihm war das egal - er würde ohnehin nie mehr dorthin zurückkehren. Beech schlief in seinem Hotelzimmer. Spicer war in einem Casino, nur drei Blocks entfernt.
Plötzlich tauchte aus dem Nichts ein Gesicht auf, das Yarber entfernt bekannt vorkam. Im nächsten Augenblick hatte sich der Mann an Yarbers Tisch gesetzt und sagte: »Hallo, Finn. Erinnerst du dich an mich?«
Yarber trank bedächtig einen Schluck Espresso und musterte das Gesicht des anderen. Er kannte ihn aus Trumble.
»Wilson Argrow. Wir haben uns in Trumble kennen gelernt«, sagte der Mann, und Yarber stellte die Tasse ab, bevor er sie fallen ließ.
»Hallo, Argrow«, sagte er langsam und ruhig, obgleich es viele andere Dinge gab, die ihm auf der Zunge lagen.
»Du bist sicher überrascht, mich zu sehen.«
»Ehrlich gesagt, ja.«
»War das nicht aufregend, dieser überwältigende Sieg von Aaron Lake?«
»Vielleicht. Was kann ich für dich tun?«
»Ich wollte dir nur sagen, dass wir immer in der Nähe sind - nur für den Fall, dass ihr uns braucht.«
Yarber lachte leise und sagte: »Das ist ziemlich unwahrscheinlich.« Seit fünf Monaten waren sie nun frei. Sie waren von einem Land zum anderen gereist, von Griechenland nach Schweden, von Polen nach Portugal, und hatten sich mit dem Kommen des Herbstes langsam nach Süden vorgearbeitet. Wie hatte Argrow es geschafft, ihnen auf den Fersen zu bleiben?
Es war eigentlich unmöglich.
Argrow zog etwas aus der Innentasche seiner Jacke. »Letzte Woche bin ich auf das hier gestoßen«, sagte er. Er reichte Yarber eine Zeitschrift, die auf der Seite mit den Kleinanzeigen aufgeschlagen war. Eine der Anzeigen war mit einem roten Stift markiert.
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Yarber kannte die Anzeige, zuckte aber die Schultern, als hätte er sie noch nie gesehen.
»Kommt dir bekannt vor, nicht?« sagte Argrow.
»Da steht doch immer dasselbe drin«, sagte Yarber und warf die Zeitschrift auf den Tisch. Es war die europäische Ausgabe von Out and About. »Die Adresse ist ein Postfach hier in Monte Carlo«, sagte Argrow. »Gerade erst gemietet, und zwar unter einem falschen Namen. Was für ein Zufall.«
»Pass auf - ich weiß nicht, für wen du arbeitest, aber ich bin ziemlich sicher, dass wir uns nicht in deinem Zuständigkeitsbereich befinden. Außerdem haben wir kein einziges Gesetz gebrochen. Warum lässt du uns nicht in Ruhe?«
»Keine Sorge. Aber reichen dir zwei Millionen Dollar nicht?«
Yarber lächelte und sah sich in dem hübschen Cafe um. Er nahm einen Schluck Kaffee und sagte: »Mit irgendwas muss man sich doch die Zeit vertreiben.«
»Wir sehen uns«, sagte Argrow, stand auf und verschwand.
Yarber trank seinen Espresso aus, als wäre nichts geschehen. Er sah für eine Weile den Passanten zu und ging dann, um sich mit seinen Kollegen zu beraten.
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