Die Brüder Karamasow
waren, erhoben nun stolz das Haupt.
»Von dem verstorbenen Starez Warsonofi ging kein Verwesungsgestank, sondern Wohlgeruch aus«, sagten sie schadenfroh. »Doch das hatte er nicht dadurch verdient, daß er ein Starez war, sondern dadurch, daß er ein Gerechter war.«
Und Schmähreden und sogar schärfste Verdammungsurteile ergossen sich jetzt geradezu über den toten Starez: »Er hat Irrlehren verbreitet! Er lehrte, das Leben sei heitere Freude und keine tränenvolle Schule der Demut!« sagten einige besonders Törichte. »Er glaubte nach der neuen Mode und leugnete das materielle Feuer in der Hölle«, pflichteten ihnen noch Törichtere bei. »Er hielt die Fasten nicht streng ein, erlaubte sich Süßigkeiten, aß Kirschkompott zum Tee, das liebte er sehr, die Damen schickten ihm oft welches. Darf ein Mönch strengster Regel überhaupt Tee trinken?« ließen sich einige Neider vernehmen. »Voller Stolz thronte er auf seinem Stuhl!« bemerkten die Schadenfrohen mit grausamer Freude. »Für einen Heiligen hielt er sich. Auf die Knie fielen die Menschen vor ihm, und das nahm er hin, als ob es ihm zustände!« – »Das Sakrament der Beichte hat er mißbraucht«, fügten die eifrigsten Gegner des Starzentums boshaft hinzu, und sie gehörten meist zu den bejahrtesten und pflichtstrengsten München, zu den echten Fastern und Schweigern. Zu Lebzeiten des Entschlafenen hatten sie geschwiegen, jetzt öffneten sie auf einmal ihre Lippen. Und das war besonders bedenklich, da ihre Worte auf die jungen, noch ungefestigten Mönche eine starke Wirkung ausübten.
Sehr eifrig horchte auf alles auch der Gast aus Obdorsk, der Mönch vom heiligen Silvester. Er seufzte tief und wiegte den Kopf hin und her. ›Ja, da hat Vater Ferapont gestern offenbar doch richtig geurteilt‹, dachte er im stillen, und gerade in diesem Augenblick erschien Vater Ferapont – wie absichtlich, um die Erregung noch zu steigern.
Ich habe bereits erwähnt, daß er seine kleine hölzerne Zelle am Bienenstand nur selten verließ, daß er oft sogar lange Zeit nicht in der Kirche erschien und daß man ihm dies wie einem religiösen Irren durchgehen ließ und ihn nicht an die für alle gültige Regel band. Doch um die ganze Wahrheit zu sagen, man ließ ihm dies alles mit einer gewissen Notwendigkeit durchgehen. So einen großen Faster und Schweiger, der Tag und Nacht betete und sogar im Knien schlief, mit der allgemein verbindlichen Regel zu belästigen, wenn er sich ihr nicht selbst unterordnen wollte – das hätte Anstoß erregt. »Er ist ohnehin frömmer als wir alle und erfüllt Schwereres, als die Regel verlangt«, hätten die Mönche gesagt. »Wenn er nicht in die Kirche geht, wird er schon wissen warum – er hat seine eigenen Regeln.« Und so ließ man denn Vater Ferapont in Ruhe. Den Starez Sossima hatte Vater Ferapont, wie allen bekannt war, überhaupt nicht leiden können; und nun war auch in seine Zelle die Kunde gedrungen, Gottes Urteil weiche von dem der Menschen ab, und der Starez sei sogar der Natur vorausgeeilt. Es ist wohl anzunehmen, daß einer der ersten, die ihm diese Nachricht überbrachten, der Gast aus Obdorsk war, der ihn am vorherigen Tag besucht hatte und so befremdet von ihm weggegangen war. Ich habe auch erwähnt, daß Vater Paissi, der fest und unerschütterlich am Sarg stand und las, zwar nicht sehen und hören konnte, was außerhalb der Zelle vorging, doch das Wesentlichste richtig erahnte: Er kannte seine Umgebung durch und durch. In Angst ließ er sich dadurch nicht versetzen; er erwartete furchtlos alles, was sich noch ereignen konnte, und verfolgte mit scharfem Blick den weiteren Verlauf der Erregung, der sich seinem geistigen Auge bereits darbot.
Aus dem Flur ertönte plötzlich ungewöhnlicher Lärm, der schon offenkundig den Anstand verletzte. Die Tür wurde weit aufgerissen, und auf der Schwelle erschien Vater Ferapont. Hinter ihm, an den Stufen vor der Eingangstür, drängten sich, wie man von der Zelle aus deutlich, sehen konnte, viele Mönche und mit ihnen auch Weltliche. Diese Begleiter traten jedoch nicht ein und stiegen auch nicht die Stufen hinauf, sondern blieben stehen und warteten ab, was Vater Ferapont weiter tun würde, denn sie ahnten – und befürchteten es bei aller Vermessenheit sogar –, daß er nicht ohne besondere Absicht gekommen war. Auf der Schwelle stehenbleibend, hob Vater Ferapont die Arme; unter seinem rechten Arm blickten die scharfen, neugierigen Augen des Gastes aus Obdorsk hervor, der
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