Die Brueder Karamasow
heute zum letztenmal diese verabscheute Schwelle überschreite, ist mein Widerwille doch der gleiche ...‹ Doch nein, das war es auch nicht. Vielleicht der Abschied von Aljoscha und das Gespräch mit ihm? ›So viele Jahre habe ich der ganzen Welt gegenüber geschwiegen, und nun auf einmal habe ich so viel Unsinn zusammengeredet!‹ Wirklich, es konnte jugendlicher Ärger über seine jugendliche Unerfahrenheit und Eitelkeit sein, ein Ärger darüber, daß er nicht verstanden hatte sich auszudrücken, noch dazu vor einem Menschen wie Aljoscha, auf den er in seinem Herzen große Hoffnungen setzte. Zwar war auch dieser Ärger zweifellos vorhanden, aber auch das war nicht der Grund seiner Mißstimmung. ›Eine Mißstimmung bis zur Übelkeit – dabei bin ich nicht imstande anzugeben, was ich eigentlich will. Das beste ist, nicht daran zu denken!‹
Iwan Fjodorowitsch versuchte, ›nicht daran zu denken‹, doch auch das half nichts. Was ihn an dieser Mißstimmung so besonders ärgerte und reizte, war, daß sie wie etwas Zufälliges, rein Äußerliches erschien, das fühlte er. Es mußte da irgendwo ein Wesen oder ein Gegenstand vorhanden sein, so wie einem manchmal etwas vor Augen steht, was man bei der Arbeit oder einem erregten Gespräch lange Zeit nicht bemerkt, was einen aber trotzdem offenbar reizt, ja quält, bis man schließlich auf den Gedanken kommt, den nichtsnutzigen Gegenstand zu beseitigen, oft irgendein unbedeutendes, lächerliches Ding, das am falschen Platz vergessen worden ist, ein heruntergefallenes Taschentuch, ein nicht in den Schrank gestelltes Buch, und so weiter und so fort ... Iwan Fjodorowitsch erreichte schließlich in höchst gereizter Stimmung das Haus seines Vaters, und als er ungefähr noch fünfzehn Schritte vom Tor entfernt war, wußte er auf einmal, was ihn so beunruhigt und gequält hatte.
Auf der Bank am Tor saß der Diener Smerdjakow und genoß die kühle Abendluft.
Iwan Fjodorowitsch begriff bei seinem Anblick sofort, daß der Diener Smerdjakow auch in seiner Seele gesessen hatte und daß seine Seele gerade diesen Menschen nicht ausstehen konnte. Alles wurde ihm mit einem Schlage hell und klar. Schon vorhin, als Aljoscha von seiner Begegnung mit Smerdjakow sprach, war ein finsteres, widerwärtiges Gefühl über ihn gekommen und hatte einen entsprechenden Zorn in ihm hervorgerufen. Während des Gesprächs hatte er Smerdjakow dann eine Zeitlang vergessen, dieser war jedoch in seiner Seele geblieben, und kaum hatte sich Iwan Fjodorowitsch von Aljoscha getrennt und allein den Heimweg angetreten, trat das vergessene Gefühl sogleich wieder hervor. ›Kann mich dieser elende Taugenichts wirklich so beunruhigen?‹ dachte er überaus verärgert.
Iwan Fjodorowitsch war auf diesen Menschen in der letzten Zeit und besonders in den letzten Tagen tatsächlich zornig geworden. Er hatte seinen wachsenden Zorn auf dieses Subjekt sogar selbst bemerkt. Vielleicht hatte dieser Zorn gerade deswegen eine solche Schärfe angenommen, weil sich das Verhältnis anfangs, nach Iwan Fjodorowitschs Ankunft, ganz anders gestaltet hatte. Damals hatte sich Iwan Fjodorowitsch für Smerdjakow sozusagen besonders interessiert, er hatte ihn sogar für einen recht originellen Menschen gehalten. Er hatte ihn selbst zu Gesprächen mit ihm ermuntert, wobei er sich allerdings stets über eine gewisse Verdrehtheit oder, besser, eine gewisse Unruhe seines Verstandes gewundert und nicht begriffen hatte, was »diesen beschaulichen Menschen« eigentlich so unablässig und heftig beunruhigen konnte. Sie sprachen über philosophische Fragen und sogar darüber, wie man es zu verstehen habe, daß das Licht schon am ersten Schöpfungstag leuchtete, obwohl doch Sonne, Mond und Sterne erst am vierten Tag geschaffen wurden. Iwan Fjodorowitsch überzeugte sich bald, daß es Smerdjakow dabei überhaupt nicht um Sonne, Mond und Sterne ging, daß Sonne, Mond und Sterne für ihn zwar ein interessanter, aber doch nur drittrangiger Gegenstand waren und daß er auf etwas ganz anderes abzielte. Wie dem auch sein mochte, jedenfalls begann sich bei ihm ein maßloses und zudem gekränktes Selbstgefühl zu äußern. Das erregte Iwan Fjodorowitschs Mißfallen. Von da an datierte seine Abneigung. Später hatte dann im Hause das wüste Treiben begonnen, Gruschenka war auf der Szene erschienen, die Streitereien mit dem Bruder Dmitri hatten angefangen, es hatte allerlei Ärger gegeben; darüber hatten sie dann auch gesprochen. Obgleich sich
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