Die Brueder Karamasow
Ermordung seine Liebe getötet hatte, während das Feuer der Leidenschaft in ihm verblieben war. Über das unschuldig vergossene Blut, über die Ermordung eines Menschen dachte er damals fast gar nicht nach. Der Gedanke, daß sie die Frau eines anderen hätte werden können, erschien ihm unerträglich, daher war er lange Zeit ehrlich davon überzeugt, daß er anders nicht hatte handeln können. Die Verhaftung des Dieners verursachte ihm anfangs ein gewisses Unbehagen, aber die Krankheit und dann der Tod des Inhaftierten beruhigten ihn wieder; denn dieser war zweifellos nicht infolge der Verhaftung oder der Angst gestorben, so urteilte er damals, sondern an einer Krankheit, die er sich bei seiner Flucht zugezogen hatte, als er sinnlos betrunken die ganze Nacht auf der feuchten Erde gelegen und sich erkältet hatte. Wegen des Diebstahls der Schmucksachen und des Geldes machte er sich wenig Vorwürfe. Diesen Diebstahl, so rechtfertigte er sich, hatte er ja nicht aus Eigennutz begangen, sondern um den Verdacht abzulenken. Der Wert des Gestohlenen war unbedeutend, und er spendete auch bald die ganze Summe und sogar weit mehr für das Armenhaus in unserer Stadt. Er tat dies absichtlich, um sein Gewissen wegen des Diebstahls zu beruhigen, und bemerkenswerterweise erreichte er für lange Zeit diesen Zweck wirklich, das hat er mir selbst gesagt. Er stürzte sich damals in eine umfangreiche dienstliche Tätigkeit, drängte sich selbst nach einem mühevollen, schweren Auftrag, der ihn etwa zwei Jahre lang beschäftigte. Und da er einen starken Charakter hatte, vergaß er das Vergangene beinahe; und wenn es ihm wieder einmal ins Gedächtnis kam, bemühte er sich, nicht daran zu denken. Er widmete sich auch der Wohltätigkeit, rief auf diesem Gebiet in unserer Stadt manche nützliche Einrichtung ins Leben, für die er viel Geld aufwendete, machte sich auch in Moskau und Petersburg bekannt und wurde dort zum Mitglied von Wohltätigkeitsvereinen gewählt. Und doch machte ihn die Qual, die über seine Kräfte ging, schließlich melancholisch. Da gefiel ihm ein schönes, kluges junges Mädchen, und er heiratete sie in der Hoffnung, er könnte durch das Eheleben seinen inneren Kummer vertreiben und sich von den alten Erinnerungen lösen, indem er einen neuen Weg einschlug und eifrig seine Pflicht gegenüber seiner Frau und seinen Kindern erfüllte. Es geschah genau das Gegenteil von dem, was er erwartet hatte. Schon im ersten Monat seiner Ehe begann ihn der Gedanke zu peinigen: ›Da liebt mich nun meine Frau, doch wenn sie es erführe – was dann?‹ Als sie sich zum erstenmal schwanger fühlte und ihm das mitteilte, erregte ihn sofort der Gedanke: ›Ich gebe einem Kind das Leben und habe doch selber jemand das Leben genommen!‹ Und als ihm Kinder geboren waren, sagte er sich: ›Wie darf ich sie lieben, lehren und erziehen, wie soll ich mit ihnen über die Tugend reden? Ich habe Blut vergossen!‹ Die Kinder wuchsen prächtig heran, er wollte sie gern liebkosen. ›Ich kann ihnen aber nicht in die unschuldigen Gesichter sehen‹, sagte er sich. ›Ich bin dessen nicht würdig.‹ Zuletzt flimmerten ihm furchtbare Bilder vor den Augen: das Blut des ermordeten Opfers, das vernichtete junge Leben, das nach Rache schreiende Blut. Er hatte marternde Träume. Da er jedoch ein festes Herz besaß, ertrug er diese Qualen lange. ›Ich werde alles durch diese Qualen sühnen!‹ sagte er sich. Aber auch diese Hoffnung erwies sich als nichtig: Sein Leiden wurde immer stärker. In der Gesellschaft begann man ihn wegen seiner Wohltätigkeit zu achten, obwohl alle vor seinem strengen, finsteren Wesen Scheu empfanden. Doch je mehr man ihn achtete, desto unerträglicher wurde es ihm. Er gestand mir, daß er schon daran gedacht hatte, sich das Leben zu nehmen. Aber statt dessen tauchte in seinem Kopf ein anderer Gedanke auf, ein Gedanke, den er zuerst für unmöglich und sinnlos hielt, der aber schließlich in ihm so feste Wurzeln schlug, daß er ihn nicht mehr loswerden konnte. Sein Plan war dieser: aufzustehen und vor aller Öffentlichkeit zu erklären, daß er einen Menschen ermordet hatte. Drei Jahre trug er sich mit diesem Gedanken, der ihm bald in diesem, bald in jenem Licht erschien. Zuletzt rang er sich in seinem tiefsten Innern zu der Überzeugung durch, er könnte durch das Eingeständnis des Verbrechens seine Seele heilen und ein für allemal zur Ruhe gelangen. Doch trotz dieser Überzeugung war sein Herz von großer Angst erfüllt,
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