Die Brueder Karamasow
Gewohnheiten frei gemacht hat? Man tadelt den Mönch wegen seiner Isolierung. »Du hast dich abgesondert«, heißt es, »um in den Klostermauern deine Seele zu retten, vergißt aber, brüderlich der Menschheit zu dienen!« Doch wollen wir erst einmal sehen, wer mit größerem Eifer Bruderliebe übt! Die Isolierung ist nämlich nicht auf unserer, sondern auf ihrer Seite, sie merken es bloß nicht. Von uns sind von jeher diejenigen ausgegangen, die für das einfache Volk tätig gewesen sind – warum sollten sich solche nicht auch jetzt finden? Gerade die demütigen, frommen Faster und Schweiger werden sich erheben und ein großes Werk in Angriff nehmen. Vom Volk kommt Rußlands Rettung. Und das russische Kloster hat von jeher in enger Beziehung zum Volk gestanden. Wenn das Volk isoliert ist, so sind wir es auch. Das Volk ist auf unsere Art gläubig; ein ungläubiger Weltverbesserer wird bei uns in Rußland doch nichts erreichen, mag er es noch so aufrichtig meinen und einen noch so genialen Verstand besitzen. Behaltet das gut im Gedächtnis! Das Volk wird den Atheisten entgegentreten und sie niederringen, und es wird ein einiges, rechtgläubiges Rußland erstehen! Behütet das Volk, bewahrt sein Herz vor allem Übel! Erzieht es in der Stille! Das ist das große Werk, das ihr als Mönche auszuführen habt, denn dieses Volk ist der Träger des göttlichen Glaubens!
f) Über Herren und Diener. Ob Herren und Diener im Geiste Brüder werden können
O Gott, wer will behaupten, daß es nicht auch beim Volk Sünde gibt? Die Flamme des sittlichen Verfalls wächst sogar offensichtlich, stündlich, sie schlägt immer höher. Auch beim Volk beginnt die Isolierung. Betrügerische Aufkäufer und Wucherer kommen auf. Schon erhebt der Kaufmann immer größere Ansprüche auf Respekt; er möchte als gebildeter Mann erscheinen, obwohl er keine Bildung besitzt, und vernachlässigt deshalb in schmählicher Weise die alten Bräuche, schämt sich sogar des Glaubens seiner Väter. Er macht Besuche bei Fürsten und ist doch nur ein verdorbener Bauer. Das Volk verfällt dem Trunk und kann nicht mehr davon lassen. Wie viele Roheiten in der Familie, gegenüber der Frau, sogar den Kindern gegenüber, sind die Folge dieser Trunksucht! Ich habe in Fabriken zehnjährige Kinder gesehen: schwächliche, ausgemergelte, gebeugte Kinder, die doch schon verdorben waren. Ein stickiger Arbeitsraum, stampfende Maschinen, den ganzen Tag Arbeit, gemeine Worte und Branntwein, Branntwein – ist es das, was die Seele so eines kleinen Kindes braucht? So ein Kind braucht Sonne, kindliche Spiele, von allen Seiten gute Beispiele – und wenigstens ein klein bißchen Liebe. Auf daß es anders werde, ihr Mönche! Auf daß die Quälerei der Kinder aufhöre, erhebt euch so schnell wie möglich, so schnell wie möglich und predigt! Gott aber wird Rußland retten! Wenn der einfache Mann auch verdorben ist und sich nicht mehr von der schmutzigen Sünde frei machen kann, so weiß er doch wenigstens, daß seine schmutzige Sünde von Gott verflucht ist und daß er schlecht handelt, wenn er sündigt. Unser Volk glaubt noch unerschütterlich an die Wahrheit, erkennt Gott an und kann noch ergriffen weinen. Anders die Angehörigen der höheren Schichten. Sie wollen auf wissenschaftlicher Grundlage alles gerecht einrichten, nur mit ihrem Verstand, ohne Christus, den man bisher noch immer nötig hatte; sie haben bereits verkündet, es gebe keine Verbrechen und keine Sünde mehr. Und aus ihrer Sicht ist das auch richtig: Wenn du keinen Gott hast, was kann es da für Verbrechen geben? In Westeuropa erhebt sich das Volk bereits mit Gewalt gegen die Reichen, und Demagogen verleiten es allerorten zum Blutvergießen und lehren, sein Zorn sei gerecht. Doch »verflucht ist ihr Zorn, denn er ist grausam!« Aber der Herr wird Rußland retten, wie er es schon oft gerettet hat. Aus dem Volk wird die Rettung kommen, aus seinem Glauben und aus seiner Demut. Meine Väter und Lehrer, hütet den Glauben des Volkes! Und es ist kein leerer Traum: Mein Leben lang hat mich an unserem prächtigen Volk seine herrliche, echte Würde stark beeindruckt, ich habe das selbst mit Staunen gesehen und kann es selbst bezeugen, trotz des Schmutzes seiner Sünden und trotz des armseligen Aussehens unseres einfachen Volkes habe ich es gesehen. Es ist nicht knechtisch, trotz der zweihundertjährigen Knechtschaft. Es ist frei in Haltung und Benehmen, dabei ohne alles Verletzende. Auch rachsüchtig und
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