Die Brueder Karamasow
Neuerungen auf – soll man die alle nachmachen? Bei uns hat es nicht weniger heilige Väter gegeben als bei denen da!«
»Die leben da unter türkischem Joch und haben alles vergessen. Auch die Rechtgläubigkeit ist bei ihnen schon längst getrübt! Und sie haben nicht einmal Glocken!« fügten die schlimmsten Spötter noch hinzu.
Vater Jossif ging bekümmert beiseite, zumal er seine Meinung auch nicht mit allzu großer Festigkeit vorgetragen hatte, als ob er selbst nicht recht daran glaubte. Und mit Bestürzung gewahrte er, daß etwas sehr Ungebührliches seinen Anfang nahm und daß wirklicher Ungehorsam sein Haupt erhob.
Allmählich verstummten auch alle anderen vernünftigen Stimmen. Und es schien, als hätten alle, die den verstorbenen Starez geliebt und die Institution des Starez gehorsam gebilligt hatten, auf einmal wegen irgend etwas einen furchtbaren Schreck bekommen, als würden sie einander nur scheu und flüchtig ansehen, wenn sie sich begegneten. Diejenigen aber, die dem Starzentum als einer Neuerung feind waren, erhoben nun stolz das Haupt.
»Von dem verstorbenen Starez Warsonofi ging kein Verwesungsgestank, sondern Wohlgeruch aus«, sagten sie schadenfroh. »Doch das hatte er nicht dadurch verdient, daß er ein Starez war, sondern dadurch, daß er ein Gerechter war.«
Und Schmähreden und sogar schärfste Verdammungsurteile ergossen sich jetzt geradezu über den toten Starez: »Er hat Irrlehren verbreitet! Er lehrte, das Leben sei heitere Freude und keine tränenvolle Schule der Demut!« sagten einige besonders Törichte. »Er glaubte nach der neuen Mode und leugnete das materielle Feuer in der Hölle«, pflichteten ihnen noch Törichtere bei. »Er hielt die Fasten nicht streng ein, erlaubte sich Süßigkeiten, aß Kirschkompott zum Tee, das liebte er sehr, die Damen schickten ihm oft welches. Darf ein Mönch strengster Regel überhaupt Tee trinken?« ließen sich einige Neider vernehmen. »Voller Stolz thronte er auf seinem Stuhl!« bemerkten die Schadenfrohen mit grausamer Freude. »Für einen Heiligen hielt er sich. Auf die Knie fielen die Menschen vor ihm, und das nahm er hin, als ob es ihm zustände!« – »Das Sakrament der Beichte hat er mißbraucht«, fügten die eifrigsten Gegner des Starzentums boshaft hinzu, und sie gehörten meist zu den bejahrtesten und pflichtstrengsten München, zu den echten Fastern und Schweigern. Zu Lebzeiten des Entschlafenen hatten sie geschwiegen, jetzt öffneten sie auf einmal ihre Lippen. Und das war besonders bedenklich, da ihre Worte auf die jungen, noch ungefestigten Mönche eine starke Wirkung ausübten.
Sehr eifrig horchte auf alles auch der Gast aus Obdorsk, der Mönch vom heiligen Silvester. Er seufzte tief und wiegte den Kopf hin und her. ›Ja, da hat Vater Ferapont gestern offenbar doch richtig geurteilt‹, dachte er im stillen, und gerade in diesem Augenblick erschien Vater Ferapont – wie absichtlich, um die Erregung noch zu steigern.
Ich habe bereits erwähnt, daß er seine kleine hölzerne Zelle am Bienenstand nur selten verließ, daß er oft sogar lange Zeit nicht in der Kirche erschien und daß man ihm dies wie einem religiösen Irren durchgehen ließ und ihn nicht an die für alle gültige Regel band. Doch um die ganze Wahrheit zu sagen, man ließ ihm dies alles mit einer gewissen Notwendigkeit durchgehen. So einen großen Faster und Schweiger, der Tag und Nacht betete und sogar im Knien schlief, mit der allgemein verbindlichen Regel zu belästigen, wenn er sich ihr nicht selbst unterordnen wollte – das hätte Anstoß erregt. »Er ist ohnehin frömmer als wir alle und erfüllt Schwereres, als die Regel verlangt«, hätten die Mönche gesagt. »Wenn er nicht in die Kirche geht, wird er schon wissen warum – er hat seine eigenen Regeln.« Und so ließ man denn Vater Ferapont in Ruhe. Den Starez Sossima hatte Vater Ferapont, wie allen bekannt war, überhaupt nicht leiden können; und nun war auch in seine Zelle die Kunde gedrungen, Gottes Urteil weiche von dem der Menschen ab, und der Starez sei sogar der Natur vorausgeeilt. Es ist wohl anzunehmen, daß einer der ersten, die ihm diese Nachricht überbrachten, der Gast aus Obdorsk war, der ihn am vorherigen Tag besucht hatte und so befremdet von ihm weggegangen war. Ich habe auch erwähnt, daß Vater Paissi, der fest und unerschütterlich am Sarg stand und las, zwar nicht sehen und hören konnte, was außerhalb der Zelle vorging, doch das Wesentlichste richtig erahnte: Er kannte seine
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