Die Brueder Karamasow
und jedem in dem Licht zu erscheinen, das dessen Wünschen entsprach, falls er auch nur den geringsten Vorteil für sich darin erblickte.
Es war ein klarer, heller Tag, und viele von den Anwesenden drängten sich zwischen den Gräbern, die über die ganze Einsiedelei verstreut lagen, besonders dicht aber um die Kirche herum.
Als Vater Paissi durch die Einsiedelei ging, mußte er auf einmal an Aljoscha denken; er hatte ihn lange nicht gesehen, seit der Nacht nicht. Doch kaum hatte er an ihn gedacht, sah er ihn im entferntesten Winkel der Einsiedelei auf dem Grabstein eines längst verstorbenen, durch seine Großtaten berühmten Mönchs sitzen. Er saß mit dem Rücken zur Einsiedelei und schien sich hinter dem Grabmal verbergen zu wollen. Vater Paissi trat näher und bemerkte, daß er das Gesicht mit beiden Händen bedeckt hielt und lautlos, aber bitterlich weinte, so daß sein ganzer Körper von dem Schluchzen erschüttert wurde. Vater Paissi blieb ein Weilchen neben ihm stehen.
»Hör auf, lieber Sohn! Hör auf, mein Freund!« sagte er endlich mit herzlicher Teilnahme. »Was hast du? Freue dich, weine nicht! Oder weißt du nicht, daß dieser Tag der größte seiner Tage ist? Denk doch nur daran, wo er jetzt ist!«
Aljoscha nahm die Hände vom Gesicht, das wie bei einem kleinen Kind vom Weinen geschwollen war, und sah ihn einen Augenblick an. Doch wandte er sich sogleich, ohne ein Wort zu sagen, wieder ab und bedeckte das Gesicht wieder mit den Händen.
»Nun, meinetwegen, auch gut«, sagte Vater Paissi nachdenklich. »Weine meinetwegen, Christus hat dir diese Tränen gesandt.«
›Diese Tränen der Rührung werden deiner Seele zur Erholung dienen und dein liebes Herz wieder fröhlich machen!‹ fügte er für sich hinzu, als er Aljoscha verließ. Übrigens tat er das absichtlich, möglichst schnell, denn er fühlte, auch er könnte bei Aljoschas Anblick am Ende noch anfangen zu weinen.
Unterdessen verging die Zeit; die Gottesdienste und Totenmessen für den Entschlafenen nahmen in der vorgeschriebenen Ordnung des Klosters ihren Fortgang. Vater Paissi löste Vater Jossif am Sarg wieder im Lesen des Evangeliums ab. Aber es war noch nicht drei Uhr nachmittags geworden, als sich das ereignete, worauf ich schon am Ende des vorigen Buches hingewiesen habe: etwas, das für alle so unerwartet kam und den allgemeinen Hoffnungen so sehr zuwiderlief, daß dieser Vorgang mit allen nebensächlichen Einzelheiten im Gedächtnis der Bewohner unserer Stadt und der ganzen Umgegend bis auf den heutigen Tag lebendig geblieben ist. Ich füge hier nochmals von mir aus hinzu: Es widerstrebt mir eigentlich, dieses nichtige, ärgerliche Ereignis zu erwähnen, das in Wirklichkeit gar keine Bedeutung und ganz natürliche Ursachen hatte. Ich würde es in meiner Erzählung sicherlich ganz übergehen, wenn es nicht in bestimmter Weise stark auf Seele und Herz des Haupthelden, wenigstens des künftigen Haupthelden meiner Erzählung, nämlich Aljoschas, gewirkt hätte, indem es in seiner Seele gleichsam einen Umschwung herbeiführte, wodurch sein Geist zwar erschüttert, aber auch endgültig fürs Leben gekräftigt und zum Streben nach einem bestimmten Ziel befähigt wurde.
Als man noch vor Tagesanbruch den zur Beerdigung zurechtgemachten Leichnam in den Sarg gelegt und in das frühere Empfangszimmer gebracht hatte, warf jemand von den Anwesenden die Frage auf, ob das Fenster im Zimmer geöffnet werden sollte. Doch diese nur nebenbei gestellte Frage blieb unbeantwortet und beinahe unbeachtet; und wer sie gehört hatte, dachte im stillen, daß es reine Torheit sei, von dem Leichnam eines solchen Toten Verwesung und Verwesungsgeruch zu erwarten, und daß der geringe Glaube und die Leichtfertigkeit des Fragenden nur Mitleid, wenn nicht Spott, verdiene. Denn man erwartete das genaue Gegenteil davon.
Und siehe da, kurz nach Mittag begann etwas, was die Anwesenden anfangs nur schweigend und still für sich wahrnahmen, wobei man jedem ansehen konnte, daß er sich scheute, jemandem diese Wahrnehmung mitzuteilen. Gegen drei Uhr nachmittags jedoch wurde dieses Etwas schon so deutlich bemerkbar, daß sich die Nachricht davon schnellstens bei den Bewohnern der Einsiedelei und den Besuchern verbreitete, dann auch im Kloster unter den Mönchen und endlich in ganz kurzer Zeit auch in der Stadt, wo sie bei allen, Gläubigen wie Ungläubigen, eine starke Erregung hervorrief. Die Ungläubigen freuten sich; und was die Gläubigen betraf, so fanden sich unter
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