Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
Vom Netzwerk:
andererseits fühlten sich einige von denen, die dem Starez ergeben gewesen waren und ihn bisher geachtet hatten, durch dieses Ereignis beinahe persönlich gekränkt.
    Der Verlauf der Sache war im einzelnen folgender: Kaum hatte sich der Verwesungsgeruch bemerkbar gemacht, konnte man auch schon an der Miene der hereinkommenden Mönche erkennen, wieso sie kamen. So einer trat herein, stand einen Augenblick und ging wieder hinaus, um den anderen, die dicht gedrängt draußen warteten, die bereits gehörte Nachricht zu bestätigen. Manche von den Wartenden wiegten betrübt die Köpfe; andere aber versuchten nicht einmal mehr, ihre Freude zu verbergen, die deutlich in ihren boshaften Blicken leuchtete. Und niemand schalt sie, niemand legte ein gutes Wort für den Verstorbenen ein, was recht verwunderlich war; immerhin bildeten jene, die dem Starez ergeben gewesen waren, im Kloster die Mehrheit. Offenbar ließ es Gott jedoch selbst zu, daß diesmal die Minderheit eine Zeitlang die Oberhand hatte. Bald erschienen in der Zelle auch Weltliche, größtenteils gebildete Leute. Einfache Menschen kamen nur wenige, obgleich sich viele am Tor der Einsiedelei drängten. Unzweifelhaft nahm gleich nach drei Uhr der Andrang der weltlichen Besucher stark zu, und zwar eigens infolge der aufsehenerregenden Kunde. Solche, die vielleicht an diesem Tage überhaupt nicht gekommen wären, kamen nun gerade, unter ihnen einige Personen von hohem Rang. Übrigens wurde der Anstand äußerlich noch nicht verletzt, und Vater Paissi las mit fester, deutlicher Stimme und strenger Miene weiter laut das Evangelium, wie wenn er nichts bemerkte, obwohl er schon längst etwas Ungewöhnliches wahrgenommen hatte. Aber da drangen auch an sein Ohr Stimmen, zuerst noch ganz leise, doch allmählich fester und dreister: »Also ist Gottes Urteil ein anderes als das der Menschen!« hörte Vater Paissi auf einmal jemand sagen. Der dies als erster laut sagte, war ein Beamter aus der Stadt, ein älterer und bekanntermaßen sehr gottesfürchtiger Mann; er wiederholte damit nur, was die Mönche einander schon längst ins Ohr gesagt hatten. Das Schlimmste war, daß diese Äußerungen einen beinahe triumphierenden Beiklang hatten, der mit jeder Minute stärker wurde. Bald darauf jedoch schienen sich alle gewissermaßen berechtigt zu fühlen, nun auch nach außen hin den Anstand zu verletzen.
    »Wie konnte denn das geschehen?« fragten einige Mönche, anfangs wie bedauernd. »Er hatte doch nur einen kleinen, hageren Körper, und das Fleisch war an den Knochen angetrocknet. Woher kann da nur der Geruch kommen?«
    »Man sieht, daß Gott absichtlich einen Hinweis geben wollte«, fügten andere eilig hinzu, und ihre Meinung wurde sofort ohne Widerspruch akzeptiert.
    Es wurde wiederum darauf hingewiesen, das Auftreten von Geruch sei zwar natürlich wie bei jedem Toten, doch erst später, nicht mit so offenkundiger Beschleunigung, frühestens nach vierundzwanzig Stunden. »Dieser hier ist aber der Natur vorausgeeilt, also ist das Gottes Werk, ein absichtlicher Fingerzeig von Ihm: Er wollte einen Hinweis geben.« Dieses Urteil machte einen unwiderstehlichen Eindruck.
    Der sanfte Priestermönch und Bibliothekar Vater Jossif, der Liebling des Verstorbenen, erwiderte einigen, die solche häßlichen Reden führten, daß die Leiber der Gerechten nicht verwesen könnten, sei kein Dogma in der rechtgläubigen Kirche, sondern nur eine Meinung; sogar in den rechtgläubigsten Gegenden, zum Beispiel auf dem Berg Athos, nehme man an Verwesungsgeruch keinen Anstoß; als Hauptkriterium der Verherrlichung der Erlösten gelte dort nicht das Ausbleiben der Verwesung, sondern die Farbe ihrer Knochen, wenn die Leichen schon viele Jahre in der Erde gelegen haben: Wenn die Knochen gelb wie Wachs geworden seien, so sei dies das wichtigste Zeichen dafür, daß Gott den entschlafenen Gerechten verherrlicht habe. Seien sie jedoch schwarz geworden, so bedeute dies, Gott habe den Betreffenden nicht dieses Ruhmes gewürdigt. »So ist das auf dem Athos, an dem heiligen Ort, wo sich der rechte Glaube von alters her unerschütterlich und in hellster Reinheit erhalten hat!« schloß Vater Jossif.
    Aber die Worte des demütigen Vaters machten keinen Eindruck, sondern riefen sogar höhnischen Widerspruch hervor.
    »Das sind alles nur gelehrsame Neuerungen, das sollte man sich gar nicht erst anhören!« urteilten die Mönche unter sich. »Bei uns geht es nach altem Brauch zu! Was kommen jetzt nicht alles für

Weitere Kostenlose Bücher