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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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Sekunde freilich nicht imstande, zu beobachten, ob er es verstanden hatte oder nicht. Sie blieb in der Haltung, in der sie auf dem Schlafkasten gesessen hatte, als er hereingestürzt kam; sie zitterte am ganzen Körper und hielt beide Hände von sich gestreckt, als wolle sie sich schützen. Mit angstvollen, geweiteten Augen starrte sie ihn an, ohne sich zu rühren. Hinzu kam noch, daß Mitjas Hände mit Blut befleckt waren. Unterwegs beim Laufen hatte er seine Stirn mit ihnen berührt, um sich den Schweiß abzuwischen, so daß auch auf der Stirn und auf der rechten Backe rote Flecke von verschmiertem Blut zurückgeblieben waren. Fenja war nahe daran, einen Weinkrampf zu bekommen; die alte Köchin war aufgesprungen und blickte ihn fast bewußtlos an. Dmitri Fjodorowitsch stand eine lange Zeit regungslos da und ließ sich dann plötzlich mechanisch neben Fenja auf einen Stuhl fallen.
    Er saß da, ohne eigentlich zu denken; er befand sich vor Schreck eher in einem Starrkrampf. Aber ihm war alles sonnenklar: Dieser Offizier ... Er hatte über ihn Bescheid gewußt, ganz genau, aus Gruschenkas eigenem Mund; er hatte gewußt, daß er vor einem Monat einen Brief geschickt hatte. Also einen ganzen Monat hatte dieses Spiel gedauert, und man hatte es vor ihm geheimgehalten, bis dieser neue Mann jetzt wirklich gekommen war – und er hatte mit keinem Gedanken an ihn gedacht! Wie war das nur möglich, daß er nicht an ihn gedacht hatte? Warum hatte er diesen Offizier damals so vollständig vergessen, kaum daß er von ihm gehört hatte? Das war eine Frage, die wie ein Ungeheuer vor ihm stand. Und er betrachtete dieses Ungeheuer voller Angst, und die Glieder waren ihm kalt geworden vor Schreck.
    Plötzlich aber begann er leise und sanft mit Fenja zu sprechen, wie ein stilles, freundliches Kind, als habe er ganz vergessen, daß er sie soeben erschreckt, beleidigt und gequält hatte. Er begann, sie auszufragen, und zwar mit einer außerordentlichen, für seine Lage sogar erstaunlichen Genauigkeit. Fenja sah zwar scheu auf seine blutigen Hände, antwortete ihm jedoch ebenfalls mit erstaunlicher Bereitwilligkeit und Eile auf jede Frage. Sie schien es sogar eilig zu haben, ihm die ganze »wahrhaftige Wahrheit« auseinanderzusetzen. Allmählich begann sie ihm beinahe freudig alle Einzelheiten darzulegen, und zwar durchaus nicht in der Absicht, ihn zu quälen, sondern als wollte sie ihm nach besten Kräften und von Herzen einen Dienst erweisen. Eingehend erzählte sie ihm auch den gesamten Verlauf des heutigen Tages: vom Besuch Rakitins und Aljoschas; wie sie, Fenja, auf der Lauer gestanden habe; wie das gnädige Fräulein weggefahren sei; wie sie Aljoscha aus dem Fenster einen Gruß an ihn, Mitenka, aufgetragen habe, und er solle sein Leben lang daran denken, daß sie ihn ein Stündchen geliebt habe. Als Mitja von diesem Gruß hörte, lächelte er plötzlich, und eine helle Röte trat auf sein blasses Gesicht. In diesem Augenblick sagte Fenja, ohne sich im geringsten wegen ihrer Neugier zu fürchten: »Aber wie sehen denn Ihre Hände aus, Dmitri Fjodorowitsch? Die sind ja ganz voll Blut!«
    »Ja«, antwortete Mitja mechanisch, warf einen zerstreuten Blick auf seine Hände und vergaß sie und Fenjas Frage sofort wieder. Er versank wieder in Schweigen. Seitdem er hereingestürzt war, waren schon etwa zwanzig Minuten vergangen. Sein Schreck von vorhin war verflogen; offenbar hatte sich jetzt eine unbeugsame Entschlossenheit seiner bemächtigt. Er erhob sich auf einmal von seinem Platz und lächelte gedankenversunken.
    »Gnädiger Herr, was ist denn bloß mit Ihnen geschehen?« fragte Fenja und zeigte wieder auf seine Hände. Sie sagte das mitfühlend, als sei sie dasjenige Wesen, das ihm jetzt in seinem Kummer am nächsten stände.
    Mitja blickte wieder auf seine Hände.
    »Das ist Blut, Fenja«, sagte er und sah sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. »Das ist Menschenblut ... Und warum ist es vergossen worden? O Gott, Fenja! Da ist ein Zaun...« Er schaute sie an, als wollte er ihr ein Rätsel aufgeben. »Ein hoher Zaun, schrecklich anzusehen ... Aber morgen, bei Tagesanbruch, wenn die Sonne in die Höhe fliegt, dann wird Mitenka über diesen Zaun springen ... Du verstehst nicht, was das für ein Zaun ist, Fenja. ... Nun, das schadet nichts ... Ganz gleich, morgen wirst du es hören und alles verstehen ... Und jetzt lebe wohl! Ich werde nicht stören, ich werde beiseite treten, ich werde es fertigbringen, beiseite zu treten. Lebe du

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