Die Brueder Karamasow
sondern war nur beteiligt gewesen. Aber davon später einmal. Die Mutter ängstigte und quälte sich weiter, und Dardanelow schöpfte immer mehr Hoffnung, je mehr sie sich beunruhigte. Es muß vermerkt werden, daß Kolja Dardanelows diesbezügliche Absichten erriet und ihn selbstverständlich wegen seiner »Gefühle« tief verachtete. Früher war er sogar so unzart gewesen, diese Verachtung seiner Mutter gegenüber zum Ausdruck zu bringen, indem er andeutete, er wisse sehr wohl, was Dardanelow im Schilde führe. Aber nach dem Vorfall mit der Eisenbahn änderte er auch in dieser Hinsicht sein Benehmen; solche Andeutungen erlaubte er sich nicht mehr, auch nicht die entferntesten. Von Dardanelow sprach er in Gegenwart der Mutter jetzt respektvoller, was die feinfühlige Anna Fjodorowna sofort mit grenzenloser Dankbarkeit in ihrem Herzen empfand. Dafür wurde sie bei der unbedeutendsten, zufälligsten Bemerkung über Dardanelow, sogar von seiten irgendeines fernen Besuchers, vor Scham plötzlich rot wie eine Rose, wenn Kolja dabei war. Und Kolja sah in solchen Augenblicken entweder mit finsterer Miene aus dem Fenster oder betrachtete angelegentlich seine Stiefelspitzen oder rief zornig Pereswon, einen struppigen, ziemlich großen, räudigen Hund, den er vor einem Monat irgendwie erworben und mit nach Hause gebracht hatte und nun aus irgendeinem Grund in der Wohnung verborgen hielt und keinem seiner Kameraden zeigte. Er tyrannisierte den Hund furchtbar, indem er ihm alle möglichen Späße und Kunststücke beibrachte; doch der arme Köter liebte seinen Herrn unsäglich: Er heulte, wenn Kolja nicht zu Hause, sondern in der Schule war, er winselte vor Freude, wenn Kolja wiederkam, sprang wie toll umher, machte Männchen, wälzte sich auf der Erde, stellte sich tot und so weiter – kurz, er produzierte alle Kunststücke, die ihm beigebracht worden waren, und zwar nicht auf Verlangen, sondern einzig und allein aus Freude und aus dankbarem Herzen.
Apropos, ich habe vergessen, daran zu erinnern, daß Kolja Krassotkin jener Junge war, den der dem Leser bereits bekannte Iljuscha, der Sohn des Stabskapitäns a. D. Snegirjow, mit dem Messer in die Hüfte gestochen hatte, weil die Schüler seinen Vater mit dem Spitznamen »Bastwisch« verspottet hatten.
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2.
Kinder
Also an jenem kalten, windigen Novembermorgen saß Kolja Krassotkin zu Hause. Es war Sonntag und somit keine Schule. Aber es hatte schon elf geschlagen, und er mußte »in einer sehr wichtigen Angelegenheit« dringend von zu Hause weggehen. Nun war er jedoch ganz allein zu Hause, und zwar ausdrücklich, um es zu hüten, da alle älteren Hausgenossen das Haus infolge eines ungewöhnlichen Vorfalls verlassen hatten. Im Haus der Witwe Krassotkina befand sich außer der Wohnung der Hausbesitzerin nur noch eine aus zwei kleinen Zimmern bestehende Wohnung, die an eine Arztfrau mit zwei kleinen Kindern vermietet war. Diese Arztfrau war gleichaltrig mit Anna Fjodorowna und ihre beste Freundin. Der Doktor selbst war seit etwa einem Jahr abwesend; zuerst war er nach Orenburg gefahren und dann nach Taschkent, und schon ein halbes Jahr war von ihm keinerlei Nachricht gekommen. Und wäre nicht durch die Freundschaft mit Frau Krassotkina der Kummer der verlassenen Frau einigermaßen gelindert worden, wäre diese wohl in Tränen zerflossen. Um die Schicksalsschläge vollzählig zu machen, mußte Katerina, die einzige Dienerin der Arztfrau, ausgerechnet in dieser Nacht vom Sonnabend zum Sonntag plötzlich und ganz unerwartet ihrer Herrin erklären, sie werde am Morgen ein Kind gebären. Wie es zugegangen war, daß davon vorher niemand etwas gemerkt hatte, war für alle beinahe ein Wunder. Die überraschte Frau beschloß, Katerina, solange es noch Zeit war, in eine Anstalt zu bringen, die eine Hebamme in unserer Stadt für solche Fälle unterhielt. Da sie der Dienerin sehr zugetan war, führte sie ihre Absicht unverzüglich aus, brachte sie dorthin und blieb außerdem bei ihr. Dann wurde am Morgen noch die freundschaftliche Beihilfe von Frau Krassotkina erforderlich, die in diesem Fall irgend jemand um irgend etwas bitten und so die Magd irgendwie unterstützen konnte. Auf diese Weise waren die beiden Damen abwesend; Frau Krassotkinas eigene Dienerin, die alte Agafja, war währenddessen auf den Markt gegangen, und Kolja war somit für eine gewisse Zeit der Hüter und Wächter der »Knirpse«, des Knaben und des Töchterchens der Arztfrau, die sonst mutterseelenallein geblieben
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