Die Brueder Karamasow
schreien und flehte die beiden an. Doch Pjotr Iljitsch, wissen Sie, ist durchaus nicht auf den Mund gefallen, er schlug sofort einen feinen Ton an, sah ihn spöttisch an, hörte zu und entschuldigte sich. ›Ich habe nicht gewußt‹, sagte er, ›daß Sie der Verfasser sind. Hätte ich es gewußt, dann hätte ich nicht so geredet, sondern das Gedicht gelobt. Die Dichter sind alle so reizbar ...‹ Kurz, lauter solche Spöttereien, unter dem feinsten Tonfall versteckt. Er hat mir nachher selbst gestanden, daß alles nur Spott war, und ich hatte gedacht, er hätte im Ernst gesprochen! So lag ich nun da, wie ich jetzt vor Ihren Augen daliege, und dachte: ›Schickt es sich oder schickt es sich nicht, daß ich Michail Iwanowitsch zur Strafe dafür die Tür weise, daß er in meinem Haus meinen Gast unanständig angeschrien hat?‹ So lag ich da, hielt die Augen geschlossen und dachte: ›Schickt es sich, oder schickt es sich nicht?‹ Ich konnte zu keiner Entscheidung kommen und quälte mich und quälte mich, und das Herz klopfte mir: Soll ich schreien oder nicht? Eine Stimme in mir sagte: ›Schrei!‹ Und eine andere sagte: ›Schrei nicht!‹ Aber kaum hatte diese andere Stimme das gesagt, da schrie ich auf und fiel in Ohnmacht. Na, natürlich war große Aufregung. Ich erhob mich und sagte zu Michail Iwanowitsch: ›Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß ich Sie nicht mehr in meinem Haus zu empfangen wünsche.‹ Ja, so habe ich ihn vor die Tür gesetzt ... Ach, Alexej Fjodorowitsch! Ich weiß selbst, daß ich häßlich gehandelt habe, es war alles nur Verstellung, ich war gar nicht böse auf ihn, mir kam bloß auf einmal in den Kopf, das könnte eine hübsche Szene werden. Aber diese Szene war doch echt und natürlich, denn ich brach sogar in Tränen aus, noch mehrere Tage danach habe ich geweint, aber dann nach dem Mittagessen hatte ich auf einmal alles vergessen. Nun hat er mich schon seit zwei Wochen nicht mehr besucht, und ich dachte: ›Wird er wirklich gar nicht mehr kommen?‹ Das dachte ich noch gestern, und dann, am Abend, bekam ich diese ›Gerüchte‹. Ich las sie und stöhnte auf. Wer hat das wohl geschrieben? Das ist er gewesen, er ist damals nach Hause gekommen, hat sich hingesetzt, diesen Artikel geschrieben, ihn eingesandt – und nun ist er gedruckt worden! Unser Zerwürfnis war ja vor zwei Wochen. Aber es ist schrecklich, was ich da alles rede, Aljoscha, und ausgerechnet von dem Wichtigsten rede ich nicht. Ach, man kommt ganz von selbst ins Reden!«
»Es liegt mir heute außerordentlich viel daran, rechtzeitig zu meinem Bruder zu kommen«, bemerkte Aljoscha.
»Richtig, das war es! Sie haben mich an alles erinnert! Hören Sie, was ist das: ein Affekt?«
»Was für ein Affekt?« fragte Aljoscha erstaunt.
»Ein gerichtlicher Affekt. Einer, dessentwegen einem alles verziehen wird. Man mag getan haben, was man will, es wird einem verziehen.«
»Was meinen Sie denn eigentlich?«
»Das will ich Ihnen sagen. Diese Katja... Ach, sie ist so ein liebes Wesen, ich weiß nur nicht, in wen sie eigentlich verliebt ist. Neulich saß sie bei mir, und ich konnte es absolut nicht herausbekommen. Um so weniger, da sie jetzt immer von so
nebensächlichen Dingen redet, kurz, sie spricht immer nur von meiner Gesundheit und von weiter nichts, und sie hat sogar einen eigentümlichen Tonfall angenommen, aber ich habe mir gedacht: ›Na, laß sie, Gott verzeihe ihr!‹ ... Ach ja, nun also dieser Affekt. Sie wissen, daß jener Arzt angekommen ist, der Arzt, der sich auf die Irrsinnigen versteht? Nun, wie sollten Sie das nicht wissen, Sie haben ihn ja selbst hergerufen, das heißt, nicht Sie, sondern Katja! Immer Katja! Also, da ist ein Mensch, der ganz und gar nicht irrsinnig ist, doch auf einmal hat er einen Affekt. Er ist bei vollem Bewußtsein und weiß, was er tut, aber dabei befindet er sich in einem Affekt. Na, wahrscheinlich ist auch Ihrem Bruder Dmitri Fjodorowitsch so ein Affekt passiert. Als die neuen Gerichte eingeführt wurden, hat man auch gleich das mit dem Affekt entdeckt, der ist eine Wohltat der neuen Gerichte. Jener Arzt war also bei mir und fragte mich über den Abend aus, über die Goldbergwerke und so und was er auf mich für einen Eindruck gemacht hat. Natürlich muß er in einem Affekt gewesen sein, er kam und schrie: ›Geld, Geld, dreitausend Rubel, geben Sie mir dreitausend Rubel!‹ Und dann ging er und verübte den Mord. Ich will nicht morden sagte er sich. Ich will nicht morden! Und
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