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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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Wäre er nun wirklich ein Mittäter und Mitschuldiger gewesen, hätte er dann so ohne weiteres der Untersuchungsbehörde gesagt, daß er selbst dem Angeklagten alles mitgeteilt hat? Vielmehr hätte er geleugnet und die Tatsachen zu entstellen und abzuschwächen versucht. Aber er hat nichts entstellt und abgeschwächt. So kann nur ein Unschuldiger handeln, der nicht fürchtet, daß er der Mittäterschaft bezichtigt wird. Und nun hat er sich gestern in einem Anfall krankhafter Schwermut infolge seiner Epilepsie und dieser ganzen plötzlich hereingebrochenen Katastrophe erhängt und nur einen Zettel hinterlassen, auf den er in eigenartiger Ausdrucksweise geschrieben hat: ›Ich vernichte mein Leben nach meinem eigenen Willen, um niemanden zu beschuldigen.‹ Was hätte es ihm ausgemacht, auf dem Zettel hinzuzufügen: ›Der Mörder bin ich und nicht Karamasow?‹ Er hat das jedoch nicht hinzugefügt – hat sein Gewissen zu dem einen Schritt ausgereicht, zu dem anderen aber nicht? Und wie steht es mit folgendem: Vorhin hat uns ein Zeuge hier in die Gerichtsverhandlung Geld gebracht, dreitausend Rubel. ›Das Geld aus dem Kuvert‹, sagt er, ›das da auf dem Tisch mit den Beweisstücken liegt. Ich habe es gestern von Smerdjakow erhalten.‹ Aber bitte, meine Herren Geschworenen, erinnern Sie sich selbst an das traurige Bild von vorhin! Ich will Ihnen die Einzelheiten nicht nochmals vorführen, sondern möchte mir nur erlauben, zwei oder drei Erwägungen anzustellen, wobei ich die unbedeutendsten auswähle, gerade weil sie unbedeutend sind und somit nicht jedem in den Sinn kommen und leicht übersehen werden können. Erstens: also aus Gewissensbissen hat Smerdjakow gestern das Geld zurückgegeben und sich selbst erhängt; denn ohne Gewissensbisse hätte er das Geld nicht zurückgegeben. Und natürlich hat er erst gestern abend zum erstenmal Iwan Karamasow sein Verbrechen gestanden, wie das Iwan Karamasow selbst gesagt hat; denn warum hätte dieser sonst bis jetzt geschwiegen? Er hat also gestanden, doch warum hat er, frage ich wieder, auf dem Zettel, den er vor seinem Tod geschrieben hat, uns nicht die volle Wahrheit mitgeteilt, obwohl er doch wußte, daß schon am nächsten Tag die Gerichtsverhandlung gegen den unschuldigen Angeklagten stattfinden würde? Das Geld allein ist ja noch kein Beweis. So ist zum Beispiel mir und noch zwei in diesem Saal anwesenden Personen schon vor einer Woche ganz zufällig bekannt geworden, daß Iwan Fjodorowitsch Karamasow zwei fünfprozentige Staatsschuldscheine zu je fünftausend Rubeln, also im Gesamtbetrag von zehntausend Rubeln, zum Einwechseln in die Gouvernementsstadt geschickt hat. Ich sage das nur, um darauf hinzuweisen, daß alle Leute zu einer bestimmten Zeit im Besitz von Geld sein können und daß, wenn jemand dreitausend Rubel bringt, dadurch noch nicht unbedingt bewiesen ist, daß dieses Geld aus einem bestimmten Schubfach oder Kuvert stammt. Ferner: nachdem Iwan Karamasow gestern eine so wichtige Mitteilung von dem wirklichen Mörder erhalten, hat, verhält er sich vollkommen ruhig. Warum hat er nicht sofort Anzeige erstattet? Warum hat er alles bis zum anderen Morgen verschoben? Ich glaube, daß ich berechtigt bin, eine Vermutung über den Grund auszusprechen. Schon seit einer Woche war seine Gesundheit schwer erschüttert; er selbst hatte dem Arzt und denen, die ihm nahestanden, bekannt, daß er an Visionen litt, daß er Leuten, die schon verstorben waren, begegnete; er stand vor einem Nervenfieber, das heute auch wirklich zum Ausbruch gekommen ist. In diesem Zustand erfuhr er plötzlich von Smerdjakows Ende und stellte bei sich folgende Erwägung an: Der Mensch ist tot, da kann ich gegen ihn aussagen und meinen Bruder retten. Geld habe ich, ich werde ein Päckchen nehmen und sagen, Smerdjakow habe es mir vor seinem Tod gegeben ... Sie werden sagen, das sei unehrenhaft, auch einem Toten gegenüber; doch ist es auch dann unehrenhaft, die Unwahrheit zu sagen, wenn es zur Rettung des Bruders geschieht? Nun, soll es unehrenhaft sein; aber wie, wenn er unbewußt die Unwahrheit gesagt hat? Wenn er sich selbst einbildete, daß es so war, weil seine Denkkraft durch die Nachricht von diesem plötzlichen Tod des Dieners endgültig in Unordnung geraten war? Sie haben ja die Szene von vorhin gesehen, Sie haben gesehen, in welchem Zustand sich dieser Mensch befand. Er stand auf seinen Beinen und redete – aber wo war sein Verstand? Auf diese Aussage des Fieberkranken von vorhin

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