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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Peiniger? Was kann die Hölle wiedergutmachen, wenn solche Kinder schon zu Tode gequält worden sind? Und was ist das für eine Harmonie, wenn darin eine Hölle vorkommt? Ich will verzeihen, will umarmen, ich will nicht, daß weiter gelitten wird! Und wenn die Leiden der Kinder helfen mußten, um jene Summe von Leiden voll zu machen, die zur Erkaufung der Wahrheit notwendig war, so behaupte ich, daß die ganze Wahrheit diesen Preis nicht wert ist. Und endlich will ich auch gar nicht, daß die Mutter den Peiniger umarmt, der ihren Sohn von den Hunden hat zerreißen lassen! Sie darf ihm nicht verzeihen! Sie mag dem Peiniger das maßlose Leid ihres Mutterherzens verzeihen! Aber sie hat kein Recht, die Leiden ihres zu Tode gequälten Kindes zu verzeihen! Sie darf dem Peiniger nicht einmal dann verzeihen, wenn das Kind selbst ihm verzeihen würde! Wenn es aber so ist, wenn nicht verziehen werden darf, wo bleibt da die Harmonie? Gibt es auf der ganzen Welt ein Wesen, das verzeihen könnte und dazu ein Recht hätte? Ich will keine Harmonie! Aus Liebe zur Menschheit will ich sie nicht! Lieber will ich meine ungerächten Leiden behalten. Lieber will ich meine ungerächten Leiden und meine nicht beschwichtigte Entrüstung behalten. Selbst wenn ich unrecht haben sollte. Für diese Harmonie wird ein gar zu hoher Preis verlangt; es entspricht nicht unserem Geldbeutel, so viel Eintrittsgeld zu bezahlen! Darum beeile ich mich, mein Eintrittsbillett zurückzugeben. Und wenn ich auch nur ein einigermaßen ehrenhafter Mensch bin, so bin ich verpflichtet, das möglichst rasch zu tun. Das tue ich denn auch. Nicht, daß ich Gott nicht anerkenne, Aljoscha ich gebe ihm nur mein Billett ergebenst zurück.«
    »Das ist Rebellion«, sagte Aljoscha leise, mit niedergeschlagenen Augen.
    »Rebellion? Dieses Wort hätte ich von dir nicht zu hören gewünscht«, sagte Iwan ergriffen. »Kann man denn im Zustand der Rebellion leben? Und ich will ja doch leben. Sag es mir selbst geradeheraus, ich rufe dich auf, antworte: Stell dir vor, du selbst hättest das Gebäude des Menschenschicksals auszuführen mit dem Endziel, die Menschen zu beglücken, ihnen Friede und Ruhe zu bringen; dabei wäre es jedoch zu eben diesem Zweck notwendig und unvermeidlich, sagen wir, nur ein einziges winziges Wesen zu quälen – beispielsweise jenes Kind, das sich mit den Fäustchen an die Brust schlug – und auf seine ungerächten Tränen dieses Gebäude zu gründen: Würdest du unter diesen Bedingungen der Baumeister dieses Gebäudes sein wollen? Das sage mir, und lüge nicht!«
    »Nein, ich würde es nicht wollen«, erwiderte Aljoscha leise.
    »Und kannst du glauben, daß die Menschen, für die du baust, damit einverstanden wären, ihr Glück durch das ungerechtfertigt vergossene Blut jenes kleinen Märtyrers zu empfangen und ewig glücklich zu bleiben, nachdem sie es empfangen haben?«
    »Nein, das kann ich nicht glauben. Aber hör mal, Bruder«, sagte Aljoscha plötzlich, und seine Augen fingen an zu leuchten, »du hast eben gefragt: ›Gibt es auf der ganzen Welt ein Wesen, das verzeihen könnte und dazu ein Recht hätte?‹ Ein solches Wesen gibt es, und es kann allen und alles verzeihen, weil es selbst sein unschuldiges Blut für alle und für alles hingegeben hat. Du hast Ihn vergessen! Und gerade auf Ihn gründet sich das Gebäude, und dieses ›Gerecht bist du, o Herr, denn deine Wege sind offenbar geworden!‹ wird ihm zugerufen.«
    »Aha, das ist der ›einzige Sündlose‹ und sein Blut! Nein, ich habe Ihn nicht vergessen, sondern mich vielmehr die ganze Zeit gewundert, daß du Ihn so lange nicht ins Treffen geführt hast, denn bei Diskussionen stellen Ihn alle eure Leute gewöhnlich in die erste Linie ... Weißt du, Aljoscha, lach mich nicht aus, ich habe da einmal ein Poem gemacht, vor einem Jahr. Wenn du noch etwa zehn Minuten mit mir verlieren kannst, möchte ich es dir erzählen.«
    »Du hast ein Poem gedichtet?«
    »O nein, nicht gedichtet«, entgegnete Iwan lachend. »Verse habe ich in meinem Leben noch keine zwei Zeilen gemacht. Aber ich habe dieses Poem ausgedacht und im Gedächtnis behalten, und zwar mit starkem Gefühl. Du wirst mein erster Leser sein, das heißt mein erster Zuhörer. In der Tat, warum soll ein Autor auch nur einen einzigen Zuhörer verlieren?« fügte Iwan lächelnd hinzu. »Soll ich dir mein Werk vortragen oder nicht?«
    »Ich höre sehr gern zu«, erwiderte Aljoscha.
    »Es hat den Titel ›Der Großinquisitor‹. Eine absurde

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