Es ist nicht alles Gold was glänzt
Prolog
Jörg, rechne heute um 18 Uhr mitteleuropäischer Zeit mit dem Eingang von sieben Millionen Dollar vom Crédit Parisien auf Konto Nr. 2 und bring sie über Nacht bei erstklassigen Banken und Top-Handelsfirmen unter. Oder investiere sie auf dem Eurodollar-Nachtmarkt. Verstanden?«
»Ja, Harvey.«
»Placiere eine Million Dollar bei der Banco do Minas Gerais in Rio de Janeiro auf die Namen Silverman und Elliott und kündige das kurzfristige Darlehen bei der Barclays Bank, Filiale Lombard Street. Verstanden?«
»Ja, Harvey.«
»Kauf zu Lasten meines Warenkontos Gold bis zum Betrag von zehn Millionen Dollar und warte dann auf weitere Anweisungen. Versuche, bei niedrigem Kurs zu kaufen und überstürze nichts – hab Geduld. Verstanden?«
»Ja, Harvey.«
Harvey Metcalfe war sich darüber im klaren, daß diese letzte Ermahnung überflüssig war. Jörg Birrer gehörte zu den konservativsten Bankiers von Zürich und – was für Harvey noch wichtiger war – hatte sich in den letzten 25 Jahren auch als einer der gerissensten erwiesen.
»Kannst du mich am Dienstag, dem 25. Juni, um 14 Uhr in Wimbledon treffen – Centre Court, an meinem üblichen Obligationsinhaberplatz?«
»Ja, Harvey.«
Damit war das Gespräch beendet. Harvey sagte nie auf Wiedersehen. Er verstand nichts von gepflegten Umgangsformen, die das Leben angenehmer gestalteten, und mittlerweile war er zu alt, sie noch zu lernen. Er griff erneut zum Telefon, wählte die sieben Nummern, die ihn mit dem Lincoln Trust in Boston verbinden würden, und verlangte seine Sekretärin.
»Miß Fish?«
»Ja, Sir.«
»Suchen Sie die Prospecta-Oil-Akte heraus und vernichten Sie sie. Vernichten Sie die ganze darüber vorhandene Korrespondenz, und lassen Sie auch nicht die geringste Spur davon übrig. Verstanden?«
»Ja, Sir.« Der Hörer wurde wieder aufgelegt. Harvey Metcalfe hatte während der letzten 25 Jahre dreimal ähnliche Anweisungen gegeben, und Miß Fish hatte inzwischen gelernt, keine Fragen zu stellen.
Harvey Metcalfe holte tief Atem, er seufzte beinahe – ein Aufatmen triumphierender Befriedigung. Er war nun mindestens 25 Millionen Dollar schwer, und nichts konnte ihn aufhalten. Er öffnete eine Flasche Krug Champagner, Jahrgang 1964, importiert von der Firma Hedges & Butler, London. Er schlürfte ihn in kleinen Schlucken und zündete sich eine von den Romeo-y-Julieta-Churchill-Zigarren an, die ein italienischer Einwanderer einmal im Monat in Kisten zu 250 Stück für ihn aus Kuba herüberschmuggelte. Dann lehnte sich Harvey zurück zu einem friedlichen kleinen Feierstündchen. In Boston, Massachusetts, war es 12.20 Uhr – Zeit zum Lunch. In England war es 18.20 Uhr. Dort kontrollierten in der Harley Street, der Bond Street und der King's Road in London und im Magdalen College in Oxford viere einander völlig unbekannte Männer in der letzten Ausgabe des Londoner ›Evening Standard‹ den Börsenkurs der Prospecta Oil. Er lag bei 9,10 Dollar. Alle vier waren reiche Leute, die ihre bereits erfolgreichen Karrieren endgültig zu konsolidieren hofften. Morgen würden sie ohne einen Pfennig dastehen.
1
Auf legale Weise in den Besitz einer Million zu gelangen, ist seit jeher schwierig gewesen. Auf illegale Weise zu einer Million zu kommen, war immer schon etwas leichter. Eine Million zu behalten, nachdem man sie einmal gemacht hat, dürfte wahrscheinlich das Schwierigste sein. Henryk Metelski gehörte zu den wenigen Männern, die alle drei dieser Kunststücke fertiggebracht hatten. Die legal erworbene Million folgte allerdings erst auf die Million, zu der er illegal gekommen war. Aber was ihn allen anderen meilenweit voraus sein ließ, war die Tatsache, daß es ihm gelang, alles zu behalten.
Henryk Metelski war am 17. Mai 1909 in der Lower East Side von New York geboren worden und erlebte die Depression in seinen entscheidenden Entwicklungsjahren. Seine Eltern waren um die Jahrhundertwende nach Amerika ausgewanderte Polen. Henryks Vater war von Beruf Bäcker und hatte in New York, wo die polnischen Einwanderer sich darauf spezialisiert hatten, dunkles Roggenbrot zu backen und kleine Restaurants zu unterhalten, rasch Arbeit gefunden. Beide Eltern hätten es so gern gesehen, wenn Henryk mit Erfolg ein Studium absolviert hätte, aber er zeigte keinerlei Begabung in dieser Hinsicht und hatte sich an seiner High School nie durch besondere Leistungen hervorgetan. Er war ein durchtriebener, aufgeweckter kleiner Bursche, jedoch wenig geschätzt
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