Die Brüder Karamasow
Starez, das man von Iwan Fjodorowitsch nie erwartet hätte, machte in seiner Rätselhaftigkeit und Feierlichkeit auf alle starken Eindruck; auf Aljoschas Gesicht lag etwas wie Schrecken. Dann zuckte Miussow plötzlich mit den Achseln, und Fjodor Pawlowitsch sprang im selben Augenblick von seinem Stuhl auf.
»Göttlicher, heiliger Starez!« rief er und zeigte auf Iwan Fjodorowitsch. »Das ist mein Sohn, Fleisch von meinem Fleische, Fleisch, das mir lieb ist! Das ist mein respektvollster, ich möchte sagen, Karl Moor! Der aber, mein Sohn Dmitri Fjodorowitsch, der eben hereinkam und gegen den ich bei Ihnen Recht suche, das ist ein ganz respektloser Franz Moor! Beides Personen aus Schillers ›Räubern‹, und ich selbst bin der regierende Graf Moor! Richten Sie, retten Sie! Wir brauchen nicht nur Ihre Gebete, sondern auch Ihr prophetisches Urteil!«
»Sprechen Sie nicht so wirr, und beginnen Sie nicht mit Beleidigungen Ihrer Angehörigen!« erwiderte der Starez schwach und matt. Seine Müdigkeit schien mit jeder Minute zuzunehmen; man sah förmlich, wie seine Kräfte schwanden.
»Eine unwürdige Komödie, die ich vorausgeahnt habe, als ich herkam!« rief Dmitri Fjodorowitsch unwillig und sprang ebenfalls von seinem Platz auf. »Verzeihen Sie, ehrwürdiger Vater«, wandte er sich an den Starez, »ich bin ein ungebildeter Mensch und weiß nicht einmal, wie man Sie anreden muß. Man hat Sie getäuscht! Es war allzu gütig von Ihnen, uns die Zusammenkunft bei Ihnen zu erlauben. Mein Väterchen hat es auf einen Skandal abgesehen – in welcher Absicht, wird er schon wissen. Er hat immer eine Absicht. Ich glaube, ich kenne sie auch jetzt ...«
»Alle beschuldigen mich, alle!« schrie Fjodor Pawlowitsch. »Auch Pjotr Alexandrowitsch. Sie haben mich beschuldigt, Pjotr Alexandrowitsch, Sie haben mich beschuldigt!« Er wandte sich plötzlich an Miussow, obgleich dieser nicht daran gedacht hatte, ihn zu unterbrechen. »Ich werde beschuldigt, das Geld meiner Kinder im Stiefel versteckt und sie dadurch benachteiligt zu haben. Aber erlauben Sie, gibt es denn keine Gerichte? Dmitri Fjodorowitsch, man wird Ihnen an Hand Ihrer eigenen Quittungen, Briefe und Verträge vorrechnen, wieviel Sie besaßen, wieviel Sie verbraucht haben und was dann noch bleibt! Warum versäumt es Pjotr Alexandrowitsch, ein Gerichtsurteil herbeizuführen? Dmitri Fjodorowitsch ist für ihn doch kein Fremder. Er vermeidet es nur, weil sie alle gegen mich sind. Das Schlußresultat der Rechnung ist, daß Dmitri Fjodorowitsch mir etwas schuldet, und zwar keine unbedeutende Summe, sondern mehrere tausend Rubel, ich habe dafür alle erforderlichen Beweise. Die ganze Stadt spricht von seinen ausschweifenden Gelagen! Wo er früher beim Militär stand, da mußte er tausend und zweitausend Rubel Strafe wegen Verführung ehrbarer Mädchen bezahlen! Ich weiß das, Dmitri Fjodorowitsch, mit allen intimen Einzelheiten, und ich werde es beweisen! Können Sie das glauben, heiligster Vater? Er machte ein anständiges Mädchen in sich verliebt, ein vermögendes Mädchen aus gutem Hause, die Tochter seines früheren Chefs, eines tapferen, verdienten Obersten, der den Anna-Orden mit Schwertern besaß; er kompromittierte das Mädchen mit einem Heiratsantrag. Jetzt ist sie hier; jetzt ist sie eine Waise, seine Braut – er aber geht vor ihren Augen zu einer anderen, allerdings sehr verführerischen Frau! Obgleich diese Frau mit einem achtbaren Mann sozusagen in bürgerlicher Ehe lebte, besitzt sie doch einen selbständigen Charakter und ist für alle eine uneinnehmbare Festung wie eine legitime Ehefrau. Sie ist tugendhaft, fromme Väter, sie ist tugendhaft! Aber Dmitri Fjodorowitsch will diese Festung mit einem goldenen Schlüssel aufschließen und trumpft zu diesem Zweck gegen mich auf, um Geld aus mir herauszuquetschen. Einstweilen hat er schon Tausende für die Verführerin verschwendet; zu diesem Zweck borgt er fortwährend Geld, und bei wem unter anderem? Was meinen Sie? Soll ich es sagen, Mitja? Soll ich?«
»Schweigen Sie!« schrie Dmitri Fjodorowitsch. »Warten Sie, bis ich draußen bin! Wagen Sie nicht, in meiner Gegenwart dieses edelmütige Mädchen zu beschmutzen! Schon daß Sie es wagen, von ihr zu sprechen, ist eine Beschimpfung für sie! Ich lasse das nicht zu!« Er konnte kaum atmen.
»Mitja, Mitja!« rief Fjodor Pawlowitsch in kläglichem Ton und preßte sich Tränen aus der Augen. »Wozu gibt es einen väterlichen Segen? Wenn ich dich nun verfluche, was wird
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