Die Brüder Karamasow
gewesen, doch schweigsam und unbefriedigt zurückgekommen. Dafür kehrte er aus Moskau in einem guten Anzug, mit sauberem Rock und anständiger Weste zurück. Er reinigte seine Kleider selbst sorgfältig zweimal täglich mit der Bürste, und seine eleganten Kalbslederstiefel putzte er hingebungsvoll mit einer besonderen englischen Wichse, daß sie wie Spiegel glänzten. Als Koch leistete er Ausgezeichnetes. Fjodor Pawlowitsch setzte ihm ein Gehalt aus, und dieses Gehalt verwendete Smerdjakow fast ausschließlich auf seine Kleidung sowie auf Pomade, Parfüms und so weiter. Allerdings schien er das weibliche Geschlecht ebenso zu verachten wie das männliche; er verhielt sich ihm gegenüber sehr gemessen, beinahe unzugänglich. Fjodor Pawlowitsch begann ihn unter einem anderen Gesichtspunkt zu beobachten. Seine epileptischen Anfälle verschlimmerten sich nämlich, und an solchen Tagen mußte Marfa Ignatjewna das Essen zubereiten, wovon Fjodor Pawlowitsch ganz und gar nicht erbaut war.
»Woher kommt das, daß deine Anfälle jetzt häufiger sind?« fragte er manchmal den neuen Koch und schaute ihn von der Seite ins Gesicht. »Du solltest heiraten, soll ich dir eine Frau besorgen?«
Smerdjakow aber wurde bei solchen Reden nur blaß vor Ärger und gab keine Antwort.
Fjodor Pawlowitsch ließ dann von ihm ab und machte eine Handbewegung, als ob er sagen wollte: ›Mit dir ist eben nichts anzufangen.‹
Die Hauptsache war ihm, daß er von Smerdjakows Ehrlichkeit überzeugt war, und zwar ein für allemal. Er glaubte fest, dieser werde ihm nie etwas wegnehmen und stehlen. Fjodor Pawlowitsch hatte einmal in betrunkenem Zustand auf seinem eigenen Hof drei Hundertrubelscheine, die er kurz vorher erhalten hatte, im Schmutz verloren und vermißte sie erst am anderen Tage. Kaum begann er in seinen Taschen zu suchen, als er sie alle drei in seinem Zimmer auf dem Tisch vorfand. Wie war das zugegangen? Smerdjakow hatte sie aufgehoben und schon am Tag vorher hingelegt.
»Na, mein Freund, solche wie dich habe ich noch nicht viele gesehen!« bemerkte Fjodor Pawlowitsch kurz und schenkte ihm zehn Rubel.
Es muß noch hinzugefügt werden, daß er nicht nur von seiner Ehrlichkeit überzeugt war, sondern ihn sogar aus einem nicht recht verständlichen Grund mochte, obgleich der Bursche ihn ebenso scheel ansah wie andere Leute und immer schwieg. Nur selten kam es vor, daß er überhaupt redete. Wäre es bei seinem Anblick damals jemand in den Sinn gekommen zu fragen, wofür sich dieser junge Mensch eigentlich interessiert und was für Gedanken er im Kopf hatte, es wäre wirklich unmöglich gewesen, diese Fragen zu beantworten. Und doch kam es manchmal vor, daß er im Haus oder auf dem Hof oder auf der Straße offenbar gedankenversunken stehenblieb und an die zehn Minuten so dastand. Hätte ihn jemand, der sich auf Physiognomien versteht, so gesehen, würde er gesagt haben, daß es sich dabei gar nicht um wirkliches Denken handelt, sondern um eine Art Versonnenheit. Von dem Maler Kramskoi gibt es ein beachtenswertes Bild mit dem Titel: »Ein Versonnener!« Dargestellt ist ein Wald zur Winterszeit, und auf einem Weg in diesem Wald steht ein armer Bauer in einem dürftigen zerrissenen Kaftan, in alten abgetragenen Bastschuhen, mutterseelenallein, in tiefster Einsamkeit, in Träumereien versunken und anscheinend nachdenklich; doch er denkt nicht nach, er ist, nur »versonnen«. Würde man ihn anstoßen, würde er zusammenfahren und einen anblicken, als ob er aus dem Schlafe erwachte, ohne etwas von allem zu begreifen. Zwar würde er sofort wieder zu sich kommen; würde man ihn aber fragen, woran er soeben gedacht habe, würde er sich gewiß an nichts erinnern. Die Empfindung, unter deren Bann er während seiner »Versonnenheit« stand, würde er wohl allerdings heimlich in seinem Innern bewahren. Diese Empfindungen sind ihm teuer, und er bewahrt sie, ohne daß es jemand merkt und ohne daß er selbst sich dessen bewußt wird; zu welchem Zweck er das tut, weiß er natürlich auch nicht. Vielleicht läßt er, nachdem er solche Empfindungen viele Jahre bewahrt hat, auf einmal alles im Stich und geht nach Jerusalem, um ein Pilgerleben zu führen und seine Seele zu retten; vielleicht zündet er auch plötzlich sein Heimatdorf an; vielleicht tut er auch beides. Es gibt unter dem einfachen Volk ziemlich viel derartiger »Versonnener«. Sicher war auch Smerdjakow einer von ihnen, und sicher bewahrte auch er seine Empfindungen sorgsam, ohne selber zu
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