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Die Brüder Löwenherz

Die Brüder Löwenherz

Titel: Die Brüder Löwenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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ausgedacht, denn Jonathan hatte mir erzählt, es gäbe in den Bergen hier und da Wölfe.
    Sophia war an diesem Abend nicht im Wirtshaus. Doch sonst war fast das ganze Dorf dort versammelt, wie immer. Und alle sangen ihre Lieder und vergnügten sich, wie immer. Ich aber sang nicht mit. Für mich war es nicht wie immer. Ohne Jonathan fühlte ich mich dort nicht wohl, und deshalb blieb ich auch nicht lange.
    »Schau nicht so traurig drein, Karl Löwenherz«, sagte Jossi, als ich ging. »Jonathan hat wohl bald genug gejagt, und dann kommt er wieder heim.«
    Wie dankbar ich ihm für diese Worte war! Jossi streichelte mir die Wange und schenkte mir ein paar Kekse. »Da hast du was zu knabbern, während du zu Hause sitzt und auf Jonathan wartest«, sagte er.
    Er war wirklich nett, der Goldhahn. Und deshalb kam ich mir ein bißchen weniger verlassen vor.
    Ich ritt mit meinen Keksen nach Hause, setzte mich vor das Feuer und aß sie auf.
    Tagsüber war es jetzt warm, es war ja auch beinahe Sommer. Trotzdem mußte ich noch unseren großen Kamin heizen, denn die Sonnenwärme hatte die dicken Mauern des Hauses noch nicht durchdrungen. Ich fror, als ich auf meine Schlafbank kroch, dennoch schlief ich bald ein. Und ich träumte von Jonathan. Ein Traum so grauenvoll, daß ich davon aufwachte.
    »Ja, Jonathan«, schrie ich. »Ich komme!« schrie ich und stürzte aus dem Bett. Die Dunkelheit ringsum schien widerzuhallen von Schreien, von Jonathans Schreien!
    Er hatte im Traum nach mir gerufen, er brauchte Hilfe. Ich wußte es. Ich hörte ihn noch immer und wäre am liebsten in die finstere Nacht hinausgestürzt um zu ihm zu gelangen, wo immer er war. Doch bald sah ich ein, wie unmöglich es war. Was konnte ich schon tun, niemand war so hilflos wie ich! Ich konnte nur in mein Bett zurückkriechen, und dort lag ich dann zitternd und fühlte mich so verloren, klein und verängstigt und einsam, so einsam wie niemand sonst auf der Welt. Und es wurde auch nicht viel besser, als der Morgen kam und ein heller, klarer Tag anbrach. Gewiß war es jetzt schwerer, sich richtig zu erinnern, wie schrecklich der Traum gewesen war, aber daß Jonathan um Hilfe geschrien hatte, das konnte ich nicht vergessen. Mein Bruder hatte mich gerufen, mußte ich da nicht aufbrechen, um zu ihm zu kommen? Ich saß stundenlang draußen bei meinen Kaninchen und grübelte, was ich tun könnte. Es gab niemanden, mit dem ich hätte sprechen, niemanden, den ich hätte fragen können. Ich mußte selber entscheiden. Zu Sophia konnte ich nicht gehen: Sie hätte mich zurückgehalten. Nie im Leben würde sie mich fortlassen, so närrisch war sie nicht. Denn das, was ich vorhatte, war ganz gewiß närrisch. Und auch gefährlich. Über alle Maßen gefährlich. Und ich war ja nicht gerade der Mutigste. Wie lange ich dort neben der Stallwand gesessen und Gras ausgerupft habe, weiß ich nicht. Jedenfalls rupfte ich jeden einzelnen Grashalm um mich herum aus, doch das merkte ich erst hinterher, nicht während ich dort saß und mich quälte. Die Stunden vergingen, und vielleicht säße ich immer noch dort, wäre mir nicht plötzlich eingefallen, was Jonathan gesagt hatte: Manchmal müsse man etwas Gefährliches tun, weil man sonst kein Mensch sei, sondern nur ein Häuflein Dreck! Da entschloß ich mich. Ich schlug mit der Faust an den Käfig, daß die Kaninchen zusammenfuhren, und sagte laut, damit es auch keinen Zweifel mehr gäbe: »Ich tue es! Ich tue es! Ich bin kein Häuflein Dreck!«
    Oh, was für ein schönes Gefühl es war, sich endlich entschlossen zu haben!
    »Ich weiß, daß es richtig ist«, sagte ich zu den Kaninchen, denn sonst hatte ich ja niemanden, mit dem ich reden konnte. Die Kaninchen, ja, die würden jetzt verwildern. Ich nahm sie aus dem Käfig, trug sie auf dem Arm bis zur Gartenpforte und zeigte ihnen das grüne, liebliche Kirschtal. »Das ganze Tal ist voller Gras«, sagte ich, »und da gibt es eine Menge anderer Kaninchen, mit denen ihr zusammen sein könnt. Ich glaube, es ist da viel lustiger für euch als im Käfig. Nur vor dem Fuchs und vor Hubert müßt ihr euch in acht nehmen.«
    Alle drei schienen ein wenig verdutzt und machten ein paar kleine Hopser, als wollten sie feststellen, ob dies auch wahr sein könnte. Doch dann liefen sie davon und verschwanden blitzschnell zwischen den grünen Hügeln. Danach machte ich mich eiligst daran, alles vorzubereiten. Ich trug zusammen, was ich mitnehmen wollte: eine Wolldecke, mit der ich mich zudecken konnte.

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