Die Brüder Löwenherz
Einen Feuerstein zum Feueranmachen. Einen Sack voller Hafer für Fjalar. Und Reiseproviant für mich selber. Allerdings hatte ich nichts anderes als Brot, aber es war das beste Brot, das es gab, Sophias Roggenbrot. Sie hatte mir eine ganze Menge davon gebracht, und ich stopfte meinen Rucksack damit voll. Das reicht lange, dachte ich, und wenn es alle ist, dann muß ich wohl Gras essen wie die Kaninchen.
Sophia hatte versprochen, mir am nächsten Tag Suppe zu bringen, doch dann würde ich schon weit fort sein. Die arme Sophia, nun mußte sie ihre Suppe selber essen! Aber ich durfte sie nicht im Ungewissen darüber lassen, wo ich war. Erfahren mußte sie es, allerdings erst, wenn es zu spät war. Zu spät, um mich zurückzuhalten.
Ich nahm ein Stück Kohle aus dem Herd und schrieb mit großen, schwarzen Buchstaben an die Küchenwand: »Jemand rief nach mir im Traum, ihn suche ich in der Ferne hinter den Bergen.«
So rätselhaft schrieb ich, weil ich dachte: Kommt ein anderer als Sophia auf den Reiterhof, einer, der nur schnüffeln will, dann versteht er diese Worte nicht.
Vielleicht glaubt er, ich hätte versucht, so was wie ein Gedicht zu machen. Sophia aber würde sofort verstehen, was ich damit sagen wollte: Ich bin fort, auf der Suche nach Jonathan!
Ich war froh, und zum erstenmal kam ich mir tapfer und stark vor. Ich sang vor mich hin:
»Jemand rief nach mir im Traum, ihn suche ich in der Ferne hinter den Be-e-e-ergen.« Wie gut es klang! Das werde ich Jonathan erzählen, wenn ich ihn finde, dachte ich. Falls ich ihn finde, dachte ich dann. Aber wenn nicht... Und da verflog mein ganzer Mut mit einemmal. Ich wurde wieder ein Häuflein Dreck. Ein kleines ängstliches Häuflein Dreck, was ich immer gewesen war. Und wie immer sehnte ich mich danach, bei Fjalar zu sein. Ich mußte sofort zu ihm. Bei ihm zu sein war das einzige, was mir ein wenig half, wenn ich traurig und ängstlich war. Wie oft hatte ich nicht schon bei ihm in der Box gestanden, wenn ich es nicht fertigbrachte, länger allein zu sein! Wie oft hatte es mich nicht schon getröstet, in seine Augen zu sehen, seine Wärme zu spüren und sein weiches Maul zu fühlen. Ohne Fjalar hätte ich diese Zeit ohne Jonathan nicht überstehen können. Ich lief zum Stall.
Fjalar war nicht allein in seiner Box. Hubert stand neben ihm. Ja, da stand Hubert, tätschelte mein Pferd und setzte ein breites Grinsen auf, als er mich sah. Mir pochte das Herz.
Er ist der Verräter, dachte ich. Wahrscheinlich hatte ich es schon lange gespürt, jetzt aber war ich sicher. Hubert war der Verräter, warum sonst war er zum Reiterhof gekommen und schnüffelte hier herum?
»Der Mann weiß zuviel«, hatte Sophia gesagt, und Hubert war dieser Mann. Das wurde mir jetzt klar. Aber wieviel wußte er? Wußte er alles? Wußte er auch, was wir in der Haferkiste versteckt hatten? Ich versuchte nicht zu zeigen, wie ängstlich ich war.
»Was tust du hier?« fragte ich so forsch, wie ich nur konnte. »Was hast du bei Fjalar zu suchen?«
»Nichts«, sagte Hubert. »Ich wollte zu dir, doch da hörte ich dein Pferd wiehern, und ich mag Pferde. Ein feines Pferd, dein Fjalar!«
Mir machst du nichts vor, dachte ich und fragte: »Und was willst du von mir?«
»Dir das hier geben«, sagte Hubert und reichte mir etwas, das in ein Stück weißes Leinen gehüllt war. »Du hast gestern abend so traurig und hungrig ausgesehen und da dachte ich, daß es auf dem Reiterhof mit dem Essen vielleicht schlecht bestellt sei, jetzt, wo Jonathan auf der Jagd ist.« Ich wußte nicht was ich tun oder sagen sollte, und ich murmelte nur ein »danke«. Aber nein, von einem Verräter konnte ich kein Essen annehmen! Oder doch?
Ich öffnete das Leinenbündel und hielt eine prächtige Hammelkeule in der Hand, gedörrt und geräuchert einen Leckerbissen, »Hammelfiedel« nennt man diesen Schinken manchmal aus Spaß.
Sie duftete herrlich. Ich hatte Lust, auf der Stelle hineinzubeißen. Dabei hätte ich Hubert eigentlich bitten müssen, sich mitsamt seiner Hammelfiedel aus dem Staube zu machen. Aber ich tat es nicht. Mit Verrätern abzurechnen war Sophias Sache.
Mir blieb nichts anderes übrig, als ganz ahnungslos zu tun. Außerdem wollte ich die Hammelfiedel gern behalten. Nichts konnte meinen Reisevorrat besser ergänzen.
Hubert stand noch immer bei Fjalar.
»Du bist wirklich ein schönes Pferd«, sagte er. »Beinahe ebenso schön wie meine Blenda.«
»Blenda ist eine Schimmelstute«, sagte ich. »Magst du
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