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Die Patchwork-Luege

Titel: Die Patchwork-Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Muehl
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1. Patchwork
    Patchwork ist ein trügerisches Wort. Es klingt so unbekümmert, dass wir an die Sommerferienlager unserer Kindheit denken, an Leichtigkeit, Aufbruch, Spaß. Wir stellen uns fröhliche Prominente in Hollywood oder im Schloss Bellevue vor, deren Leben nicht von Problemen verdüstert ist. Sie alle rufen uns lachend zu: Patchwork ist super.
    Patchwork ist modern, lässig, cool und unkonventionell. Das sind die häufigsten Attribute, mit denen seriöse Zeitungen und Boulevardblätter die Patchworkfamilie beschreiben. Man blättert durch Bilderstrecken voller entspannter Menschen, die so erholt aussehen, als wären sie eben erst von einer wochenlangen Urlaubsreise heimgekehrt. Im Vorabendfernsehen setzt sich die heile Patchworkwelt fort.
    Patchworker sind nie Verlierer, sie sind stets Gewinner.
    Das war nicht immer so, obwohl es die Patchworkkonstellation schon immer gibt. Sie hieß nur anders, Zweitfamilie zum Beispiel oder Nachscheidungsfamilie. Helmut Schelsky sprach einst, natürlich in einem anderen Zusammenhang, von »unvollständigen Familien«. Heute würde diese Äußerung Protestgeschrei und den Vorwurf der Diskriminierung Alleinerziehender nach sich ziehen. Keine dieser Bezeichnungen kaschiert, dass es eine Erstfamiliegibt. Offenbar lässt sich unter dem Patchworkbegriff das alte Leben leichter abschütteln.
    Bis sich ein neues Wort in unseren Wortschatz geschlichen hat, dauert es eine Weile, und die Medien spielen dabei eine wichtige Rolle. Irgendwann verwenden wir ein Wort ganz selbstverständlich, als wäre es von jeher da. Bei manchen Wörtern vergessen wir sogar, was sie bedeuteten, manchmal wussten wir es nie oder wollten es lieber nicht wissen. Das ist das Trügerische am Wort Patchwork, seine ursprüngliche Bedeutung liegt so tief unter bunten Medienbildern begraben, dass wir gar nicht auf die Idee kommen, es kritisch zu hinterfragen.
    Patchwork kommt aus dem Angelsächsischen und bedeutet Flickwerk. Damit ist eine Technik gemeint, bei der Stoff- oder Lederfetzen von unterschiedlicher Farbe, Form und Musterung neu zusammengeflickt werden. Sucht man in einem Textverarbeitungsprogramm nach Synonymen, werden einem Makel, Ausschuss, Gehudel, Stümperei, Mangel, Murks, Fehler, Sudelei, Missgriff, Schnitzer, Unbrauchbarkeit, Schrott vorgeschlagen.
    Patchwork steht aber nicht nur für ein Familienmodell. Das Flickwerk beschreibt vielmehr einen gesellschaftlichen Zustand, vor dem wir die Augen verschließen. Der Begriff bringt die Philosophie unserer Unverbindlichkeitswelt auf den Punkt, in der wir das Leben auf der Suche nach Glück und Erfüllung auch mal fortspülen lassen wie ein schlecht verankertes Zelt vom Regenguss. In jedem Augenblick scheint ein neuer Anfang möglich, vieles ist um-, aus- und eintauschbar. Unsere Lebensabschnittspartner,Häuser und Wohnungen im Internet, Katzen, die übermäßig haaren, im Tierheim. In der Schweiz konnte man sogar Adoptivkinder, die Schwierigkeiten machten, eine Zeitlang in die Ferne zurückschicken. Wir leben in einer kompensatorischen Welt, deren Ideologie der Ersetzbarkeit eine kulturelle Bedrohung darstellt. Wenn alles ersetzbar ist, ist alles wertlos.
    »Wir können das Leben nicht einfach wieder dort aufnehmen, wo wir es einmal fallengelassen haben«, schrieb die Schriftstellerin Marion Titze einmal in der Literaturzeitschrift Sinn und Form . Hinter diesem Satz verbirgt sich die einfache Wahrheit, dass unser Handeln immer Folgen hat. Die Folgen können harmlos sein oder katastrophal. Sicher ist nur, dass irgendjemand den Preis der Ich-Optimierung zahlen muss.
    Allen voran die Familie. Die Patchworkmentalität trifft sie am härtesten, denn sie zielt auf ihr Fundament: die Verbindlichkeit familiärer Strukturen. Sie treibt deren Aufhebung kontinuierlich voran. Etwas Ganzes zerbricht in Teile, die zwar meistens rasch neu zusammengesetzt werden, aber so lose, dass die Verbindungen gefährlich leicht reißen.
    Das Wort Patchworkfamilie taucht zum ersten Mal 1990 auf. Damals erschien ein Buch von Anne C. Bernstein unter dem Titel: Die Patchworkfamilie. Wenn Väter oder Mütter in neuen Ehen weitere Kinder bekommen. Der Originaltitel lautet: Yours, Mine, and Ours. How Families Change When Remarried Parents Have a Child Together. Vermutlich hat die Übersetzerin Margaret Minker den Begriff Patchworkfamilieerfunden. Das Große Wörterbuch der Deutschen Sprache nahm das Wort erst 1999 auf, der Rechtschreibduden 2000. Das Institut für Deutsche Sprache

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