Die Brüder Löwenherz
Angst, daß ich kaum denken konnte.
»Weiß man denn von Sophia und ihren Tauben, die mit geheimen Botschaften über die Berge fliegen, wissen das alle?« fragte ich.
»Nur die, denen wir völlig vertrauen können«, antwortete Jonathan. »Aber unter ihnen gibt es einen Verräter, und das reicht!«
Wieder wurden seine Augen dunkel, und er sagte finster: »Als Violanta gestern abend abgeschossen wurde, hatte sie eine geheime Botschaft von Sophia bei sich.
Und wenn diese Botschaft Tengil in die Hände gefallen ist bedeutet es für viele Menschen im Heckenrosental den Tod.« Ich fand es abscheulich, daß jemand eine Taube, die weiß und unschuldig dahergeflogen kam, abschießen konnte, auch wenn sie eine geheime Botschaft bei sich trug. Und plötzlich fiel mir ein, was wir zu Hause im Schrank verbargen. Ich fragte Jonathan, warum wir solche geheimen Nachrichten in unserem Küchenschrank aufbewahrten. Konnte das nicht gefährlich sein?
»Ja, es ist gefährlich«, sagte Jonathan. »Aber sie bei Sophia zu lassen, ist noch gefährlicher. Bei ihr würden Tengils Kundschafter, falls sie ins Kirschtal kommen sollten, zuerst suchen. Aber nicht bei ihrem Gärtnerburschen.« Das Gute sei, sagte Jonathan, daß niemand außer Sophia wisse, wer er eigentlich sei. Daß er nicht nur ihr Gärtnerbursche sei, sondern auch ihr Helfer im Kampf gegen Tengil. »Sophia hat es selber so bestimmt«, sagte er. »Sie will nicht, daß es hier im Kirschtal irgend jemand erfährt, und deshalb muß, du schwören, es bis zu dem Tag geheimzuhalten, an dem Sophia selber es erzählt.«
Und ich schwor, lieber zu sterben als etwas von dem, was ich gehört hatte, zu verraten.
Wir frühstückten bei Sophia, und dann ritten wir heim. An diesem Morgen war noch jemand zu Pferde unterwegs. Jemand, dem wir kurz nach Verlassen des Tulipahofes auf dem Pfad begegneten. Es war der Mann mit dem roten Bart, wie hieß er doch gleich - Hubert?
»Schau an, ihr seid bei Sophia gewesen«, sagte Hubert. »Was habt ihr da gemacht?«
»In ihrem Garten gejätet«, antwortete Jonathan und hielt seine erdigen Hände hoch.
»Und du, willst du auf die Jagd gehen?« fragte er, denn über Huberts Sattelknopf hing sein Bogen. »Ja, ich will ein paar Kaninchen schießen«, sagte Hubert. Ich mußte an unsere kleinen Kaninchen daheim denken und war froh, als Hubert auf seinem Pferd davontrabte, denn nun brauchte ich ihn nicht länger zu sehen.
»Dieser Hubert«, sagte ich zu Jonathan, »was hältst du eigentlich von ihm?«
Jonathan dachte nach. »Er ist der geschickteste Bogenschütze im ganzen Kirschtal.«
Mehr sagte er nicht. Dann spornte er sein Pferd an, und wir ritten weiter.
Palomas Botschaft hatte Jonathan bei sich, er trug den Zettel in einem kleinen Lederbeutel unter dem Hemd, und als wir nach Hause kamen, versteckte er ihn im Geheimfach. Vorher aber durfte ich lesen, was darauf geschrieben war. Und da stand: »Orwar wurde gestern aufgegriffen, man hält ihn in der Katlahöhle gefangen.
Einer aus dem Kirschtal muß sein Versteck verraten haben. Ein Verräter ist unter euch, sucht und findet ihn!«
»Sucht und findet ihn«, sagte Jonathan. »Ich wünschte, ich könnte es.«
Es stand noch mehr auf dem Zettel, doch es war in einer Geheimsprache geschrieben, die ich nicht verstand, und Jonathan sagte, ich brauchte es nicht zu wissen. Es sei nur für Sophia bestimmt.
Dann zeigte er mir, wie man das Geheimfach öffnete. Ich durfte es mehrmals öffnen und schließen. Danach machte er es selber zu, schloß den Schrank ab und legte den Schlüssel wieder in den Mörser.
Den ganzen Tag dachte ich an das, was ich erfahren hatte, und in der Nacht schlief ich nicht gut. Ich träumte von Tengil, von toten Tauben und von dem Gefangenen in der Katlahöhle, und ich schrie im Traum so laut auf, daß ich davon erwachte.
Und da - glaubt mir oder nicht! -, da sah ich jemanden am Schrank in der dunklen Ecke stehen, einen, der erschrak, als ich aufschrie, und der wie ein schwarzer Schatten zur Tür hinausglitt ehe ich richtig wach geworden war. Das alles ging so schnell, daß ich schon glaubte, es nur geträumt zu haben. Doch das glaubte Jonathan nicht, als ich ihn geweckt und es ihm erzählt hatte.
»Nein, Krümel, das war kein Traum«, sagte er. »Bestimmt nicht. Es war der Verräter!«
Eines Tages schlägt auch für Tengil die Stunde«, sagte Jonathan. wir lagen unten am Fluss im Gras, und es war so ein Morgen, an dem man sich gar nicht vorstellen kann, daß es einen Tengil
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