Die Brüder Löwenherz
offenzuhalten, denn sollten wir abstürzen, wollte ich es wenigstens nicht sehen.
Doch Fjalar trat nicht daneben. Er schaffte es, und als ich endlich wieder aufzublicken wagte, waren wir auf einer kleinen Lichtung angelangt. Eine hübsche kleine Waldwiese mit himmelhohen Bergen auf der einen und abgrundtiefen Schluchten auf der anderen Seite.
»Hier ist ein Plätzchen für uns, Fjalar«, sagte ich. »Hier sind wir vor Wölfen sicher.«
Und dies stimmte. Kein Wolf konnte von den Bergen herabgeklettert kommen, sie waren zu hoch. Und kein Wolf konnte aus der Tiefe emporklettern, die Felswände waren zu steil. Wollte er es dennoch versuchen, dann mußte er sich schon an den Abgründen entlang auf diesem schmalen, jämmerlichen Pfad seinen Weg suchen.
Aber so schlau sind Wölfe wohl nicht, jedenfalls beschloß ich, dies zu glauben. Und dann entdeckte ich etwas wirklich Gutes. Eine tiefe Kluft \ führte geradewegs in den Berg hinein. Fast hätte man es eine Höhle nennen können, denn große Felsblöcke lagen wie ein Dach darüber. In dieser Grotte würden wir getrost schlafen können und hatten ein Dach über dem Kopf. Jemand hatte vor mir auf dieser Lichtung gerastet. Die Asche eines Lagerfeuers lag noch da. Ich bekam fast Lust, mir auch ein Feuer zu machen. Aber ich war zu müde. Jetzt wollte ich nichts als schlafen. Ich nahm Fjalar am Zügel und führte ihn in die Höhle. Es war eine tiefe Höhle, und ich sagte zu Fjalar: »Hier ist Platz für fünfzehn Pferde.«
Er wieherte leise. Vielleicht sehnte er sich nach seinem Stall. Ich bat ihn um Entschuldigung für alle Strapazen, die ich ihm zugemutet hatte, gab ihm Hafer und tätschelte ihn und sagte ihm zum zweitenmal gute Nacht. Dann wickelte ich mich in der dunkelsten Ecke der Höhle in meine Wolldecke, und ehe ich mich auch nur ein bißchen fürchten konnte, schlief ich ein. Wie lange ich geschlafen hatte, weiß ich nicht. Doch plötzlich fuhr ich aus dem Schlaf auf und war hellwach. Ich hörte Stimmen, und ich hörte vor meiner Höhle Pferde wiehern. Sofort überfiel mich wieder das große, wilde Entsetzen. Vielleicht waren die, die dort draußen sprachen, schlimmer als Wölfe - wer konnte es wissen?
»Treib die Pferde in die Höhle, dann haben wir hier mehr Platz«, horte ich eine Stimme sagen, und gleich darauf kamen zwei Pferde zu mir hereingetrottet. Als sie Fjalar bemerkten, wieherten sie, und auch Fjalar wieherte, doch dann verstummten sie, vielleicht freundeten sich die drei dort in der Dunkelheit an. Von den Männern draußen schien keiner gemerkt zu haben, daß auch ein fremdes Pferd gewiehert hatte, sie redeten seelenruhig weiter.
Warum waren sie hierhergekommen? Und wer waren sie? Was hatten sie nachts hier oben in den Bergen zu suchen. Ich mußte es herausfinden. Dabei klapperten mir die Zähne vor Angst, und ich wünschte mich tausend Meilen weit fort. Aber nun war ich einmal hier, und ganz in der Nähe befanden sich Menschen, die Freunde sein konnten, aber ebensogut auch Feinde, und trotz aller Angst mußte ich herausbekommen, ob sie das eine oder das andere waren. Also legte ich mich platt auf den Bauch und robbte vorwärts. Auf die Stimmen zu. Der Mond stand jetzt vor der Höhlenöffnung, und ein Lichtstreifen fiel genau in mein Versteck, aber ich hielt mich seitlich davon im Dunkeln und kroch sachte, sachte näher an die Stimmen heran. Die Männer saßen im Mondschein und waren gerade dabei, Feuer zu machen, zwei Männer mit groben Zügen und schwarzen Helmen auf dem Kopf.
Zum erstenmal sah ich Tengils Kundschafter und Soldaten, und glaubt mir, ich wußte, wen ich vor mir hatte. Es gab keinen Zweifel, dies waren zwei der Grausamen, die mit Tengil ausgezogen waren, um Nangijalas grüne Taler zu verwüsten. Ihnen wollte ich nicht in die Hände fallen, Heber sollte mich der Wolf holen! Ich war ihnen in meiner Dunkelheit so nahe, daß ich jedes Wort verstand, obwohl sie miteinander flüsterten. Sie schienen auf jemanden zornig zu sein, denn der eine sagte: »Wenn er auch diesmal nicht pünktlich kommt, schneide ich ihm die Ohren ab.«
Und da sagte der andere: »Ja, er hat noch allerlei zu lernen. Hier sitzen wir Nacht für Nacht und warten vergeblich, und was tut er schon Großes? Brieftauben schießen, schön und gut, aber Tengil verlangt mehr als nur das. Er will Sophia in der Katlahöhle sehen. Bringt der Kerl das nicht zuwege, dann möcht ich nicht in seiner Haut stecken.« Da begriff ich, von welchem Kerl sie sprachen und auf wen sie
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