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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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seit fast zwanzig Jahren verheiratet. Und wissen Sie, in einer so langen Zeit gibt es immer Phasen, in denen mal der eine mehr gibt, und dann ist es wieder umgekehrt. Ich habe meinen Mann sehr unterstützt, damals, als wir uns kennen gelernt haben. Ich war da ja schon fertige Juristin, und er hat noch an seiner Habilitation geschrieben. Er weiß das und hat es nicht vergessen.«
    »Ich spüre einen großen Ärger bei Ihnen, wenn Sie darüber reden.«
    »Ich bin nicht ärgerlich. Ich wundere mich nur ein wenig –« An dieser Stelle ging der Alarm los.
    »Frau Behrens, ich muss Sie leider bitten, sich wieder hinzulegen.«
    »Das ist doch albern.«
    Im Publikum kam leichte Unruhe auf. Live bei der Sendung dabei zu sein, war Glück. Live dabei zu sein, wie eine Sendung aus dem Ruder lief, war großes Glück.
    »Frau Behrens, Sie kennen die Spielregeln.«
    Lachend ließ sich die Politikerin zurücksinken. »Wo waren wir stehen geblieben?«
    »Ich habe Sie gefragt, ob Sie ärgerlich –«
    »Ja, richtig. Nein, ich wundere mich, dass ausgerechnet Sie als Frau mir vorwerfen wollen, dass ich zu egoistisch handle, wenn mein Mann nun zwei Jahre vor der geplanten Zeit in den Ruhestand geht. Von uns Frauen wird doch seit Jahrhunderten erwartet, dass wir den Männern den Rücken freihalten.«
    »Das ist jetzt interessant. Ist Ihnen aufgefallen, dass
Sie
eben das Wort egoistisch verwendet haben. Fühlen Sie sich schuldig, weil Sie sich als Frau einen Egoismus erlauben, der üblicherweise Männern vorbehalten ist?«
    »Ich glaube nicht, dass es hier um Schuld geht. Ich glaube, dass wir politisch dafür kämpfen müssen, dass Frauen beides, Karriere und Familie, unter einen Hut bekommen, und das wird auch eins der Hauptziele sein, für die ich mich im Wahlkampf ganz persönlich einsetzen werde.«
    »Aber ich habe Sie nicht danach gefragt, wofür Sie sich im Wahlkampf einsetzen werden, sondern ich habe Sie nach Ihren
Gefühlen
gefragt.«
    »Ich glaube, dass Frauen einen großen Nachholbedarf haben, was das Verfolgen ihrer eigenen Ziele im Leben angeht. Aber ich wehre mich strikt dagegen, dass dies von der Gesellschaft dann gleich als Karrierismus oder Rücksichtslosigkeit ausgelegt wird. Ich denke, man muss
beides
sein können: Eine Frau, die ihren Weg geht, und eine Frau, die für ihren Partner da ist.«
    Eine klassische P-Frau,
dachte Tessa.
Proper. Patent. Politisch korrekt.
»Können Sie sich erinnern, wann Sie Ihrem Mann das letzte Mal das Gnadenbrot gemacht haben?«
    Gabriele Behrens lachte. »Sie meinen: das
Abend
brot?«
    »Ja. Natürlich.« Tessas Herz raste los, als wolle es durch ein Tor, das sich bereits schloss, noch ins Freie gelangen. Im Publikum gab es einige Lacher.
    »Wie auch immer«, sagte sie, und ihr Lächeln klappte herunter wie ein Visier. »Wann haben Sie Ihren Mann das letzte Mal bekocht?«
    Tessa zog die Garderobentür hinter sich zu und blieb in der Mitte des Raumes stehen. Das Kombucha in dem Weinglas hatte sich zersetzt. Auf dem Tisch lag der Ablaufplan, der jetzt nur noch Altpapier war. Tessa zündete sich eine Zigarette an und nahm das Handy aus ihrer Handtasche.
    »Attila? Ich will ein Band von der Sendung … Nein, ich mache mich nicht verrückt … Ich will das Band heute Nacht noch haben … Dann bezahl halt jemanden, der’s kopiert … Ich mache keinen Terror.« Wütend warf Tessa ihr Handy aufs Sofa.
    Dort, wo sie eben in die schwarze Kalbsledertasche hineingefasst hatte, entdeckte sie eine beige Make-up-Spur. Tessa versuchte, den Fleck wegzuwischen. Ein zweiter kam hinzu. Sie klemmte die Zigarette zwischen ihre Lippen, zog ein Tuch aus der Box mit den feuchten Abschminktüchern und begann sich die Hände abzuwischen. Sie hasste diese Körperschminke, die angeblich wasserlöslich war. Sie hasste diese Tücher, die eigentlich für Babyärsche erfunden worden waren. Gabriele Behrens machte es sicher nichts aus, sich mit diesen Tüchern auch das Gesicht abzuschminken. Gleich nach der Sendung war sie in der Maske verschwunden, um nach wenigen Minuten abgeschminkt und glänzend im Foyer aufzutauchen.
Proper. Patent. Politisch korrekt
. Einen halben Prosecco hatte sie noch mit Tessa und der Redaktion im Stehen getrunken, hatte die Sendung
äußerst originell
gefunden. Dann war sie in ihrem nachtblauen Dienstwagen davongefahren.
    »Fuck«, sagte Tessa und warf das verschmierte Tuch in den Papierkorb. Es klopfte an der Tür.
    »Ja?«
    Ben, der Jungredakteur, der jeden Abend als Letzter ging, steckte den

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