Die Brut
ihm zusammengezogen war, war es nie geschehen, dass ein Mann in ihrem Bett lag und schlief, wenn sie nach Hause kam. Letzten Sonntag hatte sie ihn am Fahrstuhl verabschiedet. Sie hatten sich geküsst, er hatte
tschüss
gesagt und sie
ciao
. Ihre Liebe hatte sich wie etwas angefühlt, über das man nicht nachdenken musste.
Ohne ein Geräusch zu machen, ging Tessa ins Bad. Abschminken. Zähneputzen. Flossen. Lotion. Augencreme. Feuchtigkeitscreme. Keine Nacht erlaubte sie sich, von dieser Routine abzuweichen, ganz gleich wie müde oder betrunken sie war. Als sie auf die Galerie zurückkam, schien das Mondlicht noch immer durch die Fenster herein. Das Licht zeichnete Schatten auf Sebastians Gesicht. Die Ringe unter seinen Augen waren tiefer geworden, seitdem sie ihn kannte. Seine Lippen waren voll und ein wenig aufgesprungen. Sie beugte sich hinunter, um ihn zu küssen. Er zuckte im Schlaf.
Vorsichtig stieg sie ins Bett und ließ den Kopf neben ihr Kissen sinken, auf dem noch immer sein Arm lag.
Ba. Damm. Ba. Damm.
Machte sein Puls in der Matratze. Wenigstens wollte sie glauben, dass es sein Puls war. Die alte Ameisenstraße fiel ihr wieder ein. Bis zu ihrem dreizehnten Lebensjahr hatte sie geglaubt, Kinder entstünden, indem das Sperma über die Matratze wandert und sich den Weg zwischen die Beine der Frau sucht. Natürlich hatte sie gelesen, was in den Biologiebüchern stand. Und hatte nicht prinzipiell abstoßend gefunden, was dort als
Beischlaf
beschrieben wurde. Sie hatte sich nur nicht vorstellen können, dass diese intime Art des Kindermachens für alle Menschen galt. Für die Schönen – ja. Aber dass die hässliche Kassiererin in dem Supermarkt, in den ihre Mutter sie immer geschickt hatte, dass diese Kassiererin, die so furchtbar klein war und eine quäkende Stimme hatte, zu ihren beiden Söhnen gekommen sein sollte, indem ein Mann
mit ihr
geschlafen hatte, das hatte Tessa sich beim besten Willen nicht vorstellen können.
Sie drehte sich auf die Seite und griff nach Sebastians Glied, das leblos zwischen seinen Schenkeln lag. Es war warm und weich, das haarige Dreieck verströmte einen Duft nach Waldboden und Duschgel. Sie begann vorsichtig zu reiben.
Wo die Candida-Pilze beim Mann wuchsen? Rings um das Glied herum, wie die schmutzig gelben Schwämme, die sie als Kind bei den Waldspaziergängen von morschen Baumstämmen getreten hatte? Das Mondlicht war schwach, dennoch konnte Tessa erkennen, dass es an Sebastians Glied weder Schwämme noch einen
rasenartigen grauweißlichen Belag
gab
.
Mit dem Drummer, bei dem sie sich damals die Candida geholt hatte, hatte sie nach der Nacht am Baggersee nie wieder gesprochen. Der Gynäkologe, der ihren Pilz dann schließlich behandelt hatte, hatte nur gesagt, der Junge müsse auch behandelt werden. Ohne zu sagen, was das genau hieß. Ob Sebastian eine Salbe nahm? Tabletten? Tinktur? Versteckten sich die Pilze innen im Glied, wie es auch im Wald manche Pilze gab, die sich lieber in hohlen Baumstämmen verbargen? Kamen sie erst heraus, um ihre tückischen Sporen zu verbreiten, wenn der Wirt sich entlud?
Sebastian stöhnte im Schlaf.
Er war der Moment, den Tessa am meisten liebte. Wenn sein Glied erwachte, während er selbst noch schlief. Sie rieb etwas fester.
Bei wem du dir die Candida eingefangen hast, ist mir allerdings ein Rätsel. Dass Dein Astralweib die Brutstätte einer ordinären Pilzkrankheit ist, kann ja nicht sein.
Carola log. Sie selbst war die Brutstätte. Hatte sich die Candida in irgendeinem Reagenzglas besorgt, um Sebastian zu infizieren. Hatte ihn zu sich gelockt, betrunken gemacht, auf die Couch gezerrt, mit keinem anderen Plan, als ihm eine Candida zu verpassen. Der Mann, dessen Glied sie in ihrer Hand hielt, vögelte nicht quer durchs Revier.
»Tessa? Da bist du ja endlich.« Sebastians Stimme war rau vor Schlaf. Er drehte sich um und zog Tessa an sich. »Ich habe so lange auf dich gewartet.«
Tessa ließ ihn los.
Schläfst du noch mit Carola?
»Tut mir Leid«, sagte sie. »Ben hatte Geburtstag.«
»Mmh …«
Sebastian umarmte sie noch fester. Sie drehte ihm ihren Rücken zu, so dass sie jetzt hinter sich greifen musste, um ihn weiterzureiben. Der Mond schien unverändert. Knie in Knie lagen sie da. Den Ausdruck
Löffelchen
, um diese Stellung zu bezeichnen, hatte Tessa immer abscheulich gefunden. Sie war glücklich, dass Sebastian ihn noch nie benutzt hatte. Wenn man ihr denn einen Namen geben musste, hätte sie die
Weitere Kostenlose Bücher