Die Buchmalerin
ihrem Gefährten rächte? Noch einmal schaute der Kardinal über das Podium und den großen, sonnenerhellten Platz. Nein, seine Leute und er würden die Soldaten des Königs und des Erzbischofs sowie die Menge gegen sich haben.
Langsam und sorgfältig wischte Enzio seine blutige Hand an der Samtdecke ab. Nachdem er seine Männer zu sich befohlen hatte, stieg er vom Podium hinab. Die Menschen wichen vor ihm zurück, als trüge er eine ansteckende Krankheit in sich.
Roger verfolgte, wie der Kardinal mit ruhigen, festen Schritten die Gasse entlangschritt, die sich ihm in der Menge öffnete. Ein Spieler, der nach einer verlorenen Partie gleichmütig vom Tisch aufsteht, ging es ihm durch den Kopf. Noch immer konnte er nicht recht fassen, was sich eben abgespielt hatte. Aber allmählich verstand er. Nach all den Frosttagen hatte die Sonne Gisberts Leichnam erwärmt und das erstarrte Blut, das noch in ihm war, wieder zum Fließen gebracht.
Enzio und seine Leute hatten den Platz mittlerweile überquert und verschwanden in den Gassen in Richtung des erzbischöflichen Palastes. Dort waren ihre Pferde und die Wagen untergestellt. Beides brauchten sie, um in den Süden aufbrechen zu können. Erst jetzt gelang es Roger, sich von seiner Benommenheit zu befreien. Er erhob sich von dem Bretterboden und wollte zu Donata hinübergehen, die wie erstarrt dastand. Ihr seltsamer Blick wirkte nach innen gerichtet. Doch dann zögerte Roger. Vorhin hatte es vieles gegeben, was er ihr hatte sagen wollen. Nun wusste er nicht mehr, wie er dies aussprechen oder sich ihr gegenüber verhalten sollte.
Stattdessen trat er zu der Äbtissin. Sie musterte Roger nachdenklich und ein Funkeln glomm in ihren Augen auf. »Sieh an, Friedrichs Kundschafter. Dass Ihr noch lebt, ist wohl, in gewisser Weise, auch als ein Zeichen des Himmels zu deuten …«
»Die Wärme hat Gisberts Blut zum Fließen gebracht.«
»Das sagt Ihr, ein Medicus, den außerdem die ungläubigen Gedanken des Kaisers verdorben haben … Aber was oder wer auch immer, dafür verantwortlich ist, dass das Blut des Inquisitors an die Hand des Mörders kam – es hätte zu keinem besseren Zeitpunkt geschehen können!«
»Damit habt Ihr zweifellos Recht.«
»Das will ich doch meinen!« Ein Lächeln erhellte ihr altes, faltiges Gesicht und ließ es beinahe jung erscheinen.
»Ich muss Enzio folgen. Gebt auf Donata Acht, dass die Inquisition sie in Ruhe lässt.«
Die Äbtissin sah rasch hinüber zu dem Dominikaner Bérard, der immer noch mit gefalteten Händen auf dem Podium kniete und das Gesicht zum Himmel erhoben hatte. Seine Lippen bewegten sich, als spräche er ein leises Gebet.
Adelheid nickte grimmig, während sich das Funkeln in ihren Augen vertiefte. »Bei Gott! Ich verspreche, das werde ich tun!«
EPILOG
D er Augusttag war heiß gewesen. Am Abend, als Roger an die Tür des Klosters Maria im Kapitol klopfte, hingen die Gerüche der Stadt noch schwer in den Gassen. Eine junge Nonne, die ein rundes, offenes Gesicht hatte, öffnete ihm.
»Kann ich Eure Äbtissin sprechen?«
»Sicher … Wenn Ihr mir sagt, wen ich der Ehrwürdigen Mutter melden soll …« Sie schaute ihn neugierig an, als ob sie ihn kenne, sich aber ungewiss war, woher.
»Sagt der Äbtissin …«, er zögerte. »Sagt ihr, der Medicus, der ihr einmal ein Heilmittel gegen die Gicht empfohlen hat, ist zurück.«
»Ein Medicus.« Die junge Nonne nickte eifrig. »Wenn Ihr bitte mitkommen wollt …«
Während Roger ihr durch die Halle folgte, dann die Treppe hinauf und durch den Arkadengang, überlegte er, dass viel Zeit vergangen war, seit er das letzte Mal hier entlanggegangen war. Es schien ihm viel mehr Zeit, als die bloße Spanne vom Ende des Winters bis zu einem Sommermonat umfasste.
Vor dem Zimmer der Äbtissin bat ihn die Benediktinerin zu warten. Sie schlüpfte in den Raum und er trat an einen der Arkadenbogen. Unter ihm befand sich das Geviert eines Kreuzgangs. In seiner Mitte stand ein steinerner Brunnen, dessen Schale auf den Rücken von vier Löwen ruhte. Wasser rann darin. Das leise Plätschern war trotz des Lärms, der von der Stadt herüberdrang, deutlich zu hören. In den vier Feldern rings um den Brunnen blühten Kräuter und Blumen. Ihre Düfte wehten zu ihm herauf. Besonders intensiv waren der herbe Geruch des Salbeis und der süße der Minze. Kräuter, die sich in vielfältiger Weise zur Linderung von Krankheiten verwenden ließen …
»Die Äbtissin erwartet Euch.« Die junge Nonne war
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