Die Buchmalerin
schlug ihm ein lautes, gereiztes Murren entgegen.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Wagt es noch ein Ketzer, den Inquisitionsprozess zu stören?«
»Bereitet dem gottlosen Treiben der Häretiker endlich ein Ende!«
Roger versuchte, gegen den Lärm anzuschreien, der vom Platz zu ihm heraufbrandete. »Hört! Ich selbst habe beobachtet, wie der Diener des Kardinals die Leiche des Inquisitors in einem Teich verschwinden ließ. Enzio von Trient ist ein Mörder!«
»Schweig, Gefährte der Ketzerin!« Der Kardinal war neben ihn getreten. »Wahrhaftig, das Böse will sich nicht geschlagen geben. Dieser Mann …«, mit einer weit ausholenden Geste deutete er auf Roger, »hat Odilo, der zu den Gefolgsleuten des Königs gehörte, umgebracht. Denn er musste fürchten, dass Odilo ihn der Inquisition übergeben würde.«
Bérard und Heinrich von Müllenark bekreuzigten sich.
Das Murren des Volkes schwoll weiter an. Ein Stein traf Roger am Körper.
»Der Kardinal ist ein Mörder! Er hat Odilo töten lassen!«, bemühte Roger sich noch einmal, die Menge zu übertönen.
»Sei still!«
»Halte dein gotteslästerliches Maul!«
»Ins Feuer mit ihm!«
Die Gesichter der Menschen hatten sich in eine einzige Fratze der Wut und des Abscheus verwandelt. Für einen Moment nahm Roger in Enzios Rücken das Profil des Inquisitors wahr, das sich grau und wächsern von dem nachtblauen Samt, der die Bahre bedeckte, abhob. Weitere Steine und Schneeklumpen trafen Roger.
Dann umringten ihn Soldaten. Mit einem Teil seiner Aufmerksamkeit registrierte er, dass es, ihrer Kleidung nach zu schließen, Männer des Königs sein mussten. Wir haben verloren, dachte er. Es gibt keine Möglichkeit mehr, aus dieser Sache herauszukommen. Das Volk hat sich seine Meinung gebildet.
Währenddessen trat der Kardinal an die Bahre, auf der die Leiche des Inquisitors lag. Seine Hand ruhte auf dem nachtblauen Samt, als wollte er sich des Beistands des Toten versichern. »Es ist an der Zeit, all dem ein Ende zu machen …«
»Bestraft die ketzerischen Mörder!«
»Verbrennt sie!«
Das Geschrei der Menge steigerte sich zu einem Toben. Roger stieß zwei Soldaten beiseite und stürzte auf Enzio zu. Doch sofort waren die Männer wieder bei ihm. Während Roger sich verzweifelt wehrte, erhaschte er einen Blick auf Donata. Auch sie sah ihn an. Die dumpfe Gleichgültigkeit war von ihr gewichen. Aber sie schien auch keinen Zorn zu empfinden, sondern nur Trauer.
Er wünschte sich, ihr sagen zu können, dass er es nicht bedauerte, ihr damals unter dem Torbogen des Klosters zu Hilfe gekommen zu sein. Ebenso wenig wie die Tage, die sie miteinander verbracht hatten. Der Zorn und der Streit … Und die Freude, die sich dann und wann unvermittelt zwischen ihnen entzündet hatte. Er hätte nichts davon missen mögen.
Ein Hieb traf Roger am Kopf und er sank in die Knie. Während die Männer ihn endgültig auf die Bretter niederrangen, vernahm er wieder Enzios Stimme, wohlklingend und beschwörend und mit einem Unterton von Betrübnis, in die sich zugleich Zuversicht mischte. Ohne Schwierigkeit gelang es dem Kardinal, die Menge vor dem Podest zum Schweigen zu bringen.
»… auch wenn sich der Unglaube und das Böse noch so erheben, die Mörder Gisberts sind gefunden und der Gerechtigkeit kann Genüge getan werden. Deshalb verkünde ich im Namen Gottes folgende Urteile: Die einfachen Beginen aus der Stolkgasse sollen ausgepeitscht werden und zwei Jahre lang das Schandkreuz tragen. Diese Buße soll ihnen dabei helfen, sich vom verderblichen Einfluss ihrer Vorsteherin zu lösen und gereinigt in der Schoß der Kirche zurückzukehren. Was die Äbtissin Adelheid betrifft … Sie muss sich vor dem Reichsgericht verantworten. Ich hege jedoch keinen Zweifel daran, wie dieses Gericht über eine Frau entscheiden wird, die ihr von Gott gegebenes Amt auf die übelste Weise missbraucht und der Ketzerei auf vielfältige Art Vorschub geleistet hat.«
Enzio schwieg, als müsste er sich kurz besinnen. Als er erneut das Wort ergriff, war seine Stimme trotz der Besorgnis, die immer noch darin mitschwang, härter geworden. »Für Luitgard, die Vorsteherin der Beginen, und Alkuin, den Begarden, die Gisbert auf eine besonders heimtückische, abscheuliche Weise ermordet haben, kann es nur eine Strafe geben: den Tod im Feuer. Noch heute werden sie auf dem Scheiterhaufen sterben.«
»Nein!« Roger hörte eine Frau aufschreien und auch vom Rand des Platzes erklang angstvoller Protest. Beides brach
Weitere Kostenlose Bücher