Die Bücherdiebin
er schmecken konnte.
Mein Kampf.
Der Titel, immer wieder der Titel, während der Zug weiterratterte, von einer deutschen Stadt zur nächsten.
Mein Kampf.
Ausgerechnet das sollte ihn retten.
schwindler
Man könnte behaupten, dass Liesel Meminger es leicht hatte. Das stimmte auch, verglichen mit Max Vandenburg. Sicher, ihr Bruder war in ihren Armen gestorben. Ihre Mutter hatte sie verlassen.
Aber alles war besser, als Jude zu sein.
In der Zeit kurz vor Max' Ankunft ging ein weiterer Wäschekunde verloren. Diesmal waren es die Weingartners. Die Küche der Hubermanns vernahm die obligatorische Schimpferei, und Liesel tröstete sich damit, dass immer noch zwei übrig waren. Glücklicherweise war einer der Kunden der Bürgermeister, mit seiner Frau und den Büchern.
Was Liesels andere Aktivitäten betraf, so zog sie immer noch mit Rudi Steiner um die Häuser. Ich würde sogar behaupten, dass die beiden ungeniert ihre niederträchtigen Vorlieben pflegten.
Sie unternahmen einige weitere Raubzüge mit Arthur Berg und seinen Freunden, begierig darauf, ihre Qualitäten unter Beweis zu stellen und ihr Repertoire in Sachen Diebstahl zu erweitern. Von einem Bauernhof klauten sie Kartoffeln, von dem anderen Zwiebeln. Ihr größter Coup allerdings gelang ihnen zu zweit.
Ein Vorteil davon, dass man ständig durch die Stadt lief, war - wie sich zuvor schon einmal erwiesen hatte - die Möglichkeit, Dinge auf dem Boden zu finden. Ein weiterer war die Gelegenheit, Leute zu beobachten beziehungsweise bestimmte Leute zu bespitzeln, die Woche für Woche einer ganz bestimmten Tätigkeit nachgingen.
Otto Sturm, einer ihrer Schulkameraden, war so jemand. Jeden Freitagnachmittag fuhr er mit dem Fahrrad zur Kirche, um dem Pfarrer Lebensmittel zu bringen.
Einen ganzen Monat lang beobachteten die beiden Otto, während sich das gute Wetter verabschiedete. Besonders Rudi hatte sich fest vorgenommen, dass Otto an einem ungewöhnlich frostigen Freitag sein Ziel nicht erreichen würde.
»Diese ganzen Pfaffen«, erklärte Rudi, als sie durch die Stadt gingen. »Die sind doch sowieso zu fett. Die können es eine Woche lang ohne Essen aushalten.« Liesel konnte ihm nur zustimmen. Zunächst einmal war sie nicht katholisch. Außerdem nagte der Hunger an ihr. Wie immer trug sie die Wäsche. Rudi schleppte zwei Eimer voll kaltem Wasser oder - wie er es ausdrückte - zwei Eimer mit zukünftigem Eis.
Kurz vor zwei Uhr nachmittags ging er ans Werk.
Ohne zu zögern, goss er das Wasser auf die Straße, genau dort, wo Otto um die Ecke geradelt kommen würde.
Liesel musste es eingestehen.
Nachdem ihr anfängliches leises Schuldgefühl verflogen war, musste sie zugeben, dass der Plan perfekt war, oder wenigstens so perfekt, wie es nur möglich war. Jeden Freitagnachmittag kurz nach zwei Uhr bog Otto Sturm in die Münchener Straße ein. Die Lebensmittel hingen in einem Korb vor ihm an der Lenkstange. An diesem Freitag würde er nicht weiter kommen als bis hierher.
Die Straße war schon eisig, aber Rudi fügte ihr einen zweiten Belag hinzu. Er konnte sich das Grinsen kaum verkneifen. Es glitt ihm übers Gesicht wie ein Rodelschlitten.
»Komm jetzt«, sagte er, »dort hinein, in den Busch.«
Nach etwa fünfzehn Minuten trug ihr diabolischer Plan Früchte - im wahrsten Sinne des Wortes.
Rudi deutete mit seinem Finger durch eine Lücke im Laub des Büschs. »Da ist er.« Otto kam um die Ecke, so ahnungslos wie ein Lamm.
In Sekundenschnelle hatte er die Kontrolle über sein Fahrrad verloren, rutschte über das Eis und blieb mit dem Gesicht nach unten auf der Straße liegen.
Als er sich nicht mehr bewegte, schaute Rudi Liesel erschrocken an. »Christus steh uns bei«, sagte er, »glaubst du, wir haben ihn umgebracht?« Er kroch l angsam aus seinem Versteck. Dann schnappte er sich den Korb, und die beiden gaben Fersengeld.
»Hat er geatmet?«, fragte Liesel, als sie ein gutes Stück entfernt waren.
»Keine Ahnung«, sagte Rudi und umklammerte den Korb.
Am Fuß des Hügels drehten sie sich um und sahen zu, wie Ot to aufstand, sich zuerst am Kopf und dann im Schritt kratzte und überall nach dem Korb suchte.
»Dämlicher Scheißkopf.« Rudi grinste. Dann begutachteten sie ihre Beute. Brot, zerbrochene Eier, Äpfel und - Volltreffer! - Speck. Rudi hielt die fettige Schwarte an seine Nase und sog genüsslich das Aroma ein. »Herrlich.«
So verlockend der Wunsch auch war, ihren Sieg für sich zu behalten, empfanden sie doch eine überwältigende
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