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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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dreizehn Schritte. Schätzungsweise neunzig Dreizehnerabschnitte machte er, bis er endlich an der Ecke der Himmelstraße stand.
    In einer Hand hielt er seinen Koffer.
    Die andere umklammerte immer noch Mein Kampf.
    Beides war schwer, und beides wurde von einer sanften Schweißabsonderung liebkost.
    Jetzt bog er in die Seitenstraße ein und ging auf das Haus Nummer 33 zu. Er unterdrückte das Verlangen zu lächeln, unterdrückte das Verlangen zu schluchzen oder sich auch nur die Geborgenheit vorzustellen, die ihn möglicherweise erwartete. Er gemahnte sich daran, dass dies nicht die richtige Zeit für Hoffnung war. Sicher, er konnte sie beinahe berühren. Er konnte sie fühlen, gerade außerhalb seiner Reichweite. Statt dieses Gefühl anzuerkennen, beschäftigte er sich wieder mit der Frage, was er tun sollte, wenn er im letzten Moment geschnappt oder die falsche Person hinter der Haustür auf ihn warten würde.
    Natürlich empfand er auch ein kratzendes Empfinden von Sünde.
    Wie konnte er das tun?
    Wie konnte er hier auftauchen und diese Leute bitten, ihr Leben für ihn zu riskieren? Wie konnte er so selbstsüchtig sein?
    33.
    Sie schauten einander an.
    Das Haus war bleich, wirkte beinahe kränklich, mit einem eisernen Gartentor und einer braunen, mit Spuckeflecken übersäten Haustür.
    Aus seiner Tasche zog er den Schlüssel. Er funkelte nicht, sondern lag trüb und müde in seiner Hand. Eine Sekunde lang drückte er ihn und erwartete fast, dass er in seiner Hand schmelzen und sein Handgelenk hinabtropfen würde. Er tat es nicht. Das Metall war fest und flach, mit einer gesunden Zahnreihe, und er drückte sie so lange, bis sie ihn biss.
    Langsam beugte sich da der Kämpfer vor, lehnte seine Wange gegen das Holz und holte den Schlüssel aus seiner Faust.
    TEIL 4
    DER ÜBERSTEHMANN
    Es wirken mit:
    der Akkordeonspieler - ein Versprechen, das gehalten wird - ein gutes Mädchen - ein jüdischer Faustkämpfer - Rosas Zorn - eine Mahnung - ein Schläfer - der Austausch von Albträumen - und einige Seiten aus dem Keller
    der akkordeonspieler (Das geheime Leben des
    Hans Hubermann)
    Ein junger Mann stand in der Küche. Der Schlüssel in seiner Hand fühlte sich an, als würde er in seine Haut hineinrosten. Er sagte nicht »Hallo« oder »Bitte helfen Sie mir« oder was man sonst noch hätte erwarten können. Er stellte zwei Fragen.
    ERSTE FRAGE
    »Hans Hubermann?«
    ZWEITE FRAGE
    »Spielen Sie immer noch Akkordeon?«
    Unbehaglich betrachtete der junge Mann die menschliche Gestalt vor sich. Er schabte seine Stimme hervor und reichte sie durch die Dunkelheit, als ob das alles wäre, was von ihm übrig geblieben war.
    Papa, wachsam und entgeistert, trat näher.
    Zur Küche gewandt, flüsterte er: »Natürlich spiele ich noch.«
    Alles begann vor vielen Jahren, im Ersten Weltkrieg.
    Sie sind seltsam, diese beiden Kriege.
    Voller Blut und Gewalt - aber auch voller Geschichten, die genauso schwer zu begreifen sind »Es stimmt«, murmelt so mancher. »Es ist mir egal, ob du mir glaubst oder nicht. Es war dieser Fuchs, der mir das Leben rettete.« Oder: »Rechts und links von mir krepierten sie, und ich blieb stehen. Ich bekam als Einziger keine Kugel zwischen die Augen. Warum ich? Warum ich und nicht sie?«
    Hans Hubermanns Geschichte war diesen nicht unähnlich. Als ich sie mir in den Worten der Bücherdiebin zu Gemüte führte, wurde mir klar, dass Hans und ich in dieser Zeit ein paar Mal aneinander vorbeigegangen waren, aber von Angesicht zu Angesicht getroffen hatten wir uns nie. Ich selbst hatte damals viel zu tun. Was Hans betrifft, so denke ich, dass er sein Möglichstes tat, um mir aus dem Weg zu gehen.
    Als ich mich das erste Mal in seiner Nähe befand, war Hans zweiundzwanzig Jahre alt und kämpfte in Frankreich. Die Mehrzahl der jungen Männer in seiner Einheit war begierig auf die Schlacht. Hans war unsicher. Ich hatte ein paar von ihnen unterwegs aufgelesen, kann aber guten Gewissens sagen, dass ich Hans Hubermann niemals zu nahe kam. Er hatte entweder zu viel Glück, oder er verdiente es zu leben. Oder er hatte einen guten Grund, am Leben zu hängen.
    In der Armee fiel er nicht auf, weder positiv noch negativ. Er konnte mittelmäßig schnell laufen, mittelmäßig klettern, und er schoss gerade anständig genug, um seine Vorgesetzten nich t zu empören. Aber er war auch nicht so gut, dass er zu den Auserwählten gehört hätte, die mir an vorderster Front direkt in die Arme liefen.
    EINE KURZE, ABER BEMERKENSWERTE

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