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Die Bücherdiebin

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Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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aufgerissen. »Schnell«, sagte er. »Er kommt.«
    Aus weiter Ferne konnten sie immer noch die sie zurücklassenden Schritte hören, als plötzlich eine weitere Hand den Stacheldraht packte und ihn von Rudi Steiners Hose wegriss. Ein Stück Stoff blieb an dem Stahlstachel hängen, aber der Junge war frei und konnte entkommen.
    »Jetzt bewegt euch«, befahl Arthur. In diesem Moment erreichte der Bauer den Zaun. Er fluchte und rang nach Atem. Die Axt klebte - mit letzter Kraft, wie es schien - an seiner Seite. Er schrie ihnen die nutzlosen Worte des Beraubten hinterher.
    »Ich lasse euch einsperren! Ich finde euch! Ich finde heraus, wer ihr seid!«
    Da drehte sich Arthur um und gab Auskunft.
    »Sein Name ist Owens!« Er sprang davon und rannte hinter Liesel und Rudi her. »Jesse Owens!«
    Endlich waren alle in Sicherheit und kämpften darum, wieder zu Atem zu kommen. Arthur Berg trat zu Liesel und Rudi. Rudi konnte ihm nicht in die Augen sehen. »Das ist uns allen schon mal passiert«, sagte Arthur, der Rudis Enttäuschung spürte. Sagte er die Wahrheit? Sie wussten es nicht und würden es nie herausfinden.
    Ein paar Wochen später zog Arthur Berg nach Köln.
    Ein Mal sahen sie ihn noch, auf einer von Liesels Wäschetouren. In einer Seitengasse der Münchener Straße überreichte er Liesel eine braune Papiertüte mit einem Dutzend Esskastanien Er grinste. »Ich habe Beziehungen.« Dann verkündete er seinen Weggang, schenkte ihnen ein letztes, pickliges Lächeln und verpasste beiden einen Klaps auf die Stirn. »Esst nicht alle auf einmal.« Sie sahen Arthur Berg nie wieder.
    Was mich betrifft - ja, ich begegnete ihm noch ein Mal.
    EINE KLEINE VERBEUGUNG VOR ARTHUR BERG, DER IMMER NOCH UNTER DEN LEBENDEN WEILT
    Der Himmel über Köln war gelb und faulig, franste an den Kanten aus. Er saß mit dem Rücken an eine Mauer gelehnt, mit einem Kind in den Armen. Seine Schwester. Als sie aufhörte zu atmen, blieb er bei ihr, und ich spürte, dass er sie noch stundenlang halten würde. In seiner Tasche steckten zwei gestohlene Äpfel.
    Diesmal machten sie es besser. Sie aßen jeder eine Kastanie. Dann gingen sie von Tür zu Tür und verkauften den Rest.
    »Wenn Sie ein bisschen Kleingeld übrig haben«, sagte Liesel an jeder Haustür, »dann können Sie ein paar Esskastanien bekommen.« Am Ende besaßen sie sechzehn Pfennige.
    »Und jetzt«, grinste Rudi, »lass uns Rache nehmen.«
    Am selben Nachmittag noch kehrten sie bei Frau Lindner ein, heilhitlerten brav und warteten.
    »Schon wieder gemischte Bonbons?«, schmunzelte sie, woraufhin sie nickten. Das Geld spritzte auf die Theke, und Frau Lindners Schmunzeln fiel auseinander.
    »Ja, Frau Lindner«, sagten sie im Chor. »Gemischte Bonbons, bitte.«
    Der gerahmte Führer blickte stolz auf sie hinab.
    Es war der Triumph vor dem Sturm.
    der kämpfer: letzte runde
    Mit der Spielerei hat es nun bald ein Ende, nicht aber mit dem Spektakel. Ich halte Liesel Meminger in einer Hand und Max Vandenburg in der anderen. Bald schon werde ich sie zusammenprallen lassen. Lasst mir noch ein paar Seiten Zeit.
    Der Kämpfer.
    Wenn sie ihn heute Nacht umbrächten, würde er wenigstens lebendig sterben.
    Die Zugfahrt war nun Vergangenheit. Die schnarchende Frau hatte sich vermutlich in dem Abteil ausgestreckt, das heute Nacht ihr Bett sein würde. Jetzt lagen nur noch Schritte zwischen Max und der Rettung. Schritte und Gedanken. Und Zweifel.
    In seinen Gedanken folgte er dem Weg auf der Karte, von Pasing nach Molching. Es war schon spät, als er die Kleinstadt vor sich sah. Seine Beine taten schrecklich weh, aber er war fast da - an dem gefährlichsten Ort, an dem er sich befinden konnte. Nah genug, um ihn zu berühren.
    Wie beschrieben, fand er die Münchener Straße und betrat den Bürgersteig.
    Alles versteifte sich.
    Glühende Taschen aus Straßenbeleuchtung. Dunkle, untätige Gebäude.
    Das Rathaus stand wie ein riesiger Junge da, der die Hand zur Faust geballt hatte, zu groß für sein Alter. Die Kirche verschwand in der Dunkelheit, je weiter sein Auge nach oben wanderte.
    Alles betrachtete ihn.
    Er zitterte.
    Er warnte sich: »Halt die Augen offen.«
    (Deutsche Kinder hielten Ausschau nach verlorenen Münzen. Deutsche Juden waren auf der Hut vor einer möglichen Gefangennahme.)
    Er hielt sich weiterhin an die Zahl dreizehn, die ihm Glück bringen sollte, und so zählte er seinen Weg in Abschnitten von je dreizehn Schritten ab. Nur noch dreizehn Schritte, sagte er sich. Komm schon, noch

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