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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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Loyalität Arthur Berg gegenüber. Sie gingen zu seiner ärmlichen Mietswohnung in der Kempfstraße und zeigten ihm, was sie ergattert hatten. Arthur konnte nicht umhin, ihnen Lob zu zollen.
    »Wem habt ihr das geklaut?«
    Es war Rudi, der antwortete. »Otto Sturm.«
    »Tja«, nickte Arthur, »wer immer das ist, ich bin ihm dankbar.« Er ging hinein und kehrte mit einem Brotmesser, einer Bratpfanne und einer Jacke wieder. Gemeinsam verließen sie das Haus. »Wir trommeln die anderen zusammen«, erklärte Arthur Berg. »Wir mögen zwar Kriminelle sein, aber wir sind keine Stinker.« Genauso wie bei der Bücherdiebin gab es auch bei ihm Grenzen.
    Sie klopften an ein paar Türen, riefen von der Straße aus Namen zu Fenstern hinauf, und schon bald war die ganze Horde von Arthur Bergs Obst- und Gemüsedieben auf dem Weg zur Amper. Sie wateten zur anderen Uferseite, entzündeten auf der ersten Lichtung ein Feuer und brieten, was von den Eiern noch zu verwenden war. Dann wurden Brot und Speck aufgeschnitten. Mit Händen und Messern wurde jeder Krümel von Otto Sturms Lieferung verspeist. Weit und breit war kein Pfarrer in Sicht.
    Erst gegen Ende erhob sich ein Streit, und er betraf den Korb. Die Mehrheit der Jungen wollte ihn verbrennen. Fritz Hammer und Andi Schmeikl hätten ihn gerne behalten, aber einmal mehr stellte Arthur Berg seine außerordentliche moralische Einstellung unter Beweis.
    »Ihr beide«, sagte er zu Rudi und Liesel. »Ihr solltet diesem Sturm den Korb zurückbringen. Ich bin der Meinung, dass der arme Kerl wenigstens das verdient.«
    »Ach, komm schon, Arthur.«
    »Ich will nichts davon hören, Andi.«
    »Herrgott nochmal!«
    »Der will auch nichts davon hören.«
    Die Meute lachte, und Rudi Steiner nahm den Korb. »Ich brin ge ihn zurück und hänge ihn bei den Sturms an den Briefkasten.«
    Er war keine zwanzig Meter weit gekommen, da schloss das Mädchen zu ihm auf. Sie würde zwar später nach Hause kommen, als gut für sie war, aber sie war sich der Tatsache bewusst, dass sie Rudi Steiner begleiten musste, bis zum Hof der Sturms auf der anderen Seite der Stadt.
    Eine geraume Zeit lang gingen sie schweigend nebeneinanderher.
    »Hast du ein schlechtes Gewissen?«, fragte Liesel endlich. Sie waren bereits auf dem Heimweg.
    »Weswegen?«
    »Du weißt schon.«
    »Natürlich habe ich das, aber immerhin habe ich keinen Hunger mehr, und ich wette, er auch nicht. Du glaubst doch nicht etwa, dass die Pfaffen etwas zu essen bekämen, wenn die Sturms nicht mehr als genug davon hätten, oder?«
    »Er ist so schlimm hingefallen.«
    »Erinnere mich bloß nicht daran.« Aber Rudi Steiner konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. In den Jahren, die folgten, würde er ein Geber sein, einer, der Brot verteilte, nicht einer, der es stahl - ein Beweis mehr für die widersprüchliche Natur des Menschen. Ein bisschen gut, ein bisschen böse. Man muss nur einen Schuss Wasser dazugeben und umrühren.
    Fünf Tage nach ihrem bittersüßen Sieg über Otto Sturm tauchte Arthur Berg wieder auf und lud sie zu einem neuen Raubzug ein. Sie trafen ihn auf der Münchener Straße, auf dem Heimweg von der Schule. Es war ein Mittwoch. Arthur trug seine HJ-Uniform. »Wir ziehen morgen Nachmittag wieder los. Seid ihr dabei?«
    Sie konnten nicht widerstehen. »Wo?« »Bei den Kartoffeln.«
    Vierundzwanzig Stunden später überwanden Liesel und Rudi wieder einmal einen Stacheldrahtzaun und füllten ihren Sack.
    Das Problem tauchte auf, als sie den Rückzug antreten wollten.
    »Herr Jesus!«, brüllte Arthur. »Der Bauer!« Aber es war sein nächstes Wort, das Angst und Schrecken auslöste. Er schrie es heraus, als ob er bereits damit angegriffen würde. Sein Mund brach auseinander. Das Wort flog heraus, und das Wort lautete: »Axt!«
    Und tatsächlich - als sie sich umdrehten, kam der Bauer auf sie zugerannt, mit hoch erhobener Waffe.
    Der ganze Haufen rannte auf den Zaun zu und kletterte in Sekundenschnelle darüber. Rudi, der am weitesten entfernt gewesen war, hatte sie schnell eingeholt. Trotzdem war er der Letzte. Er zog sein Bein hoch.
    Es verhakte sich.
    »Ah!«
    Der Aufschrei des Gestrandeten.
    Die Meute blieb stehen.
    Instinktiv rannte Liesel zurück.
    »Beeil dich!«, rief Arthur. Seine Stimme schien von weit her zu kommen, als ob er sie verschluckt hätte, bevor sie seinen Mund verlassen konnte.
    Weißer Himmel.
    Die anderen rannten.
    Liesel hatte Rudi erreicht und zerrte an dem Stoff seiner Hose. Rudis Augen waren vor Angst weit

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