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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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Mädchen un d den Jungen zumindest ernähren und ihnen eine Ausbildung angedeihen lassen konnte.
    Den Jungen.
    Liesel war sich sicher, dass die Mutter die Erinnerung an ihn mit sich trug, auf ihren Schultern. Sie setzte ihn ab. Sie sah seine Füße und Beine und den Rumpf auf dem Bahnsteig aufschlagen.
    Wie konnte diese Frau bloß laufen?
    Wie schaffte sie es, sich zu bewegen?
    Das ist etwas, was ich nie wissen oder begreifen werde - wozu menschliche Wesen fähig sind.
    Sie hob ihn auf und lief weiter. Das Mädchen blieb dicht an ihrer Seite.
    Ihr nächster Weg führte sie zu den Behörden. Fragen wurden gestellt, über ihre Verspätung und den Jungen, und diese Fragen brachten sie dazu, die verletzlichen Köpfe zu heben. Liesel blieb in der Ecke des kleinen, staubigen Büros, während ihre Mutter mit verkrampften Gedanken auf einem sehr harten Stuhl saß.
    Dann kam das Durcheinander des Abschieds.
    Der Abschied war feucht. Das Mädchen vergrub den Kopf in den wollenen, fadenscheinigen Tiefen des Mantels der Mutter. Wieder nahm das Gezerre seinen Anfang und sein Ende.
    Eine ganze Wegstrecke außerhalb von München lag eine Kleinstadt namens Molching. Dorthin brachte man sie, in eine Straße, die nach dem Himmel benannt war.
    Wer immer der Himmelstraße ihren Namen gegeben hatte, war offensichtlich mit einem gesunden Sinn für Humor gesegnet gewesen. Nicht dass es die Hölle auf Erden wäre. Das nicht. Aber so sicher, wie es nicht die Hölle war, so sicher war es auch nicht der Himmel.
    Dessen ungeachtet warteten die Pflegeeltern auf ihren Schützling.
    Die Hubermanns.
    Sie hatten ein Mädchen und einen Jungen erwartet, für deren Pflege sie eine magere Unterstützung bekommen sollten. Niemand wollte Rosa Hubermann erklären müssen, dass der Junge die Reise nicht überlebt hatte. Tatsache war, dass überhaupt niemand jemals den Wunsch hatte, ihr irgendetwas erklären zu müssen. Was ihre Natur anging, so war sie nicht gerade als umgänglich bekannt, obwohl sie in Bezug auf Pflegekinder einen guten Ruf genoss. Sie hatte etliche von ihnen geradegerückt.
    Liesel fuhr in einem Auto.
    Sie war noch nie in einem Auto gefahren.
    Ihr Magen hob und senkte sich unentwegt, gemeinsam mit ihrer vergeblichen Hoffnung, dass sie sich verfahren würden oder irgendjemand seine Meinung ändern würde. Inmitten von all dem kehrten ihre Gedanken immer wieder zu ihrer Mutter zurück, die am Bahnhof darauf wartete, wieder abfahren zu können. Zitternd. Eingehüllt in diesen nutzlosen Mantel. Sie kaute an den Nägeln und wartete auf den Zug. Der Bahnsteig war lang und ungemütlich, ein Band aus kaltem Zement. Würde sie bei ihrer Rückfahrt nach der Grabstätte ihres Sohnes Ausschau halten? Oder würde der Schlaf übermächtig sein?
    Der Wagen fuhr weiter, und Liesel sah voller Angst der letzten, endgültigen Kurve entgegen.
    Der Tag war grau, die Farbe Europas.
    Vorhänge aus Regen waren um den Wagen gezogen.
    »Wir sind gleich da.« Die Dame von der Pflegevermittlung, Frau Heinrich, wandte sich um und lächelte. »Dein neues Zuhause.«
    Liesel wischte einen blanken Kreis auf die angelaufene Fensterscheibe und schaute hinaus.
    MOMENTAUFNAHME DER HIMMELSTRASSE
    Die Gebäude scheinen zusammengeklebt zu sein, meistens kleine zweistöckige Häuser und Mehrfamilienhäuser, die nervös wirken. Schmutziger Schnee liegt ausgebreitet da wie ein Teppich. Zement, leere Hutständerbäume und graue Luft.
    Im Auto saß auch ein Mann. Während Frau Heinrich im Haus verschwand, blieb er bei dem Mädchen. Er sagte kein Wort. Liesel vermutete, dass er sie im Zweifelsfall am Weglaufen hindern oder sie nach drinnen schleppen sollte, wenn sie versuchte, Ärger zu machen. Als der Ärger jedoch anfing, saß er einfach nur da und sah zu. Vielleicht war er nur der letzte Ausweg, wenn nichts anderes mehr half.
    Nach ein paar Minuten kam ein sehr großer Mann nach draußen. Hans Hubermann, Liesels Pflegevater. An seiner einen Seite ging die mittelgroße Frau Heinrich. An seiner anderen befand sich die klobige Gestalt von Rosa Hubermann, die aussah wie ein kleiner Schrank, über den man einen Mantel geworfen hatte. Sie watschelte mehr, als dass sie ging. Man hätte es fast niedlich nennen können, wenn da nicht ihr Gesicht gewesen wäre, verkniffen wie zerdrückte Pappe und verärgert, als ob sie sich mit allem und jedem nur gerade eben so abfinden könnte. Ihr Mann ging aufrecht und hatte eine brennende Zigarette zwischen den Fingern. Eine selbst

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