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Die Bücherdiebin

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Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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kaum sichtbar. Ein un-besonderer Mensch. Seine Fähigkeiten als Anstreicher waren zweifellos exzellent. Sein Können als Musiker war überdurchschnittlich. Und doch war er irgendwie in der Lage - und ich bin mir sicher, dass auch euch schon solche Menschen begegnet sind -, mit dem Hintergrund zu verschmelzen, selbst wenn er in vorderster Reihe stand. Er war immer nur da. Nicht auffällig. Nicht wichtig oder besonders wertvoll.
    Das Gute an diesem Eindruck war, dass er täuschte. Denn Hans Hubermann war wertvoll, und Liesel Meminger erkannte dies. (Das Menschenkind - manchmal viel schlauer als der unfassbar schwerfällige Erwachsene.) Sie bemerkte es sofort.
    Seine Haltung.
    Die Ruhe, die ihn umgab.
    Als er an jenem Abend das Licht in dem kleinen, lieblos wirkenden Badezimmer einschaltete betrachtete Liesel die außergewöhnlichen Augen ihres Pflegevaters. Sie waren aus Freundlichkeit gemacht und aus Silber. Weiches Silber, schmelzend. Liesel sah diese Augen und begriff, dass Hans Hubermann sogar eine ganze Menge wert war.
    EIN PAAR WORTE ÜBER ROSA HUBERMANN
    Sie war 1,55 Meter groß und trug die braungrauen Strähnen ihres elastischen Haars zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengefasst. Um die Haushaltskasse aufzubessern, wusch und bügelte sie die Wäsche für fünf der wohlhabenderen Familien in Molching. Ihr Essen schmeckte scheußlich. Sie besaß das unglaubliche Talent, fast jeden, den sie traf, vor den Kopf zu stoßen. Aber sie liebte Liesel Meminger. Sie hatte nur einfach eine merkwürdige Art,
    diese Liebe zu zeigen. Ihre Art bestand darin, sie regelmäßig mit dem Kochlöffel und mit Beschimpfungen zu malträtieren.
    Als Liesel endlich ein Bad nahm - zwei Wochen nachdem sie in der Himmelstraße eingetroffen war -, nahm Rosa sie in die Arme und drückte sie so heftig, dass ihr die Knochen knackten. Während sie das Mädchen fast erstickte, sagte sie: »Saumensch, du dreckiges - das wurde aber auch Zeit!«
    Ein paar Monate später waren sie nicht mehr Herr und Frau Hubermann. Mit der ihr eigenen Arl warf Rosa Hubermann Liesel eines Tages eine Faustvoll Worte entgegen: »Jetzt hör mal zu, Liesel, von heute an nennst du mich Mama.« Sie dachte einen Moment lang nach. »Wie hast du deine richtige Mutter genannt?«
    Leise sagte Liesel: »Auch Mama.«
    »Na, dann bin ich jetzt Mama Nummer zwei.« Sie warf ihrem Ehemann einen Blick zu. »Und den da drüben.« Sie schien die Worte in ihrer Hand zu sammeln, sie zu einem Teig zu kneten und sie über den Tisch zu feuern. »Den Saukerl da, den nennst du Papa, verstanden?«
    »Ja«, nickte Liesel schnell. Schnelle Antworten wurden in diesem Haus geschätzt.
    »Ja, Mam a«, korrigierte Mama sie. »Saumensch! Nenn mich Mama, wenn du mit mir redest!«
    In diesem Moment war Hans Hubermann mit dem Drehen seiner Zigarette fertig geworden, hatte das Papier abgeleckt und sie zwischen seinen Fingern glatt gerollt. Er schaute zu Liesel hinüber und zwinkerte ihr zu. Sie hatte keine Vorbehalte, ihn Papa zu nennen.
    die frau mit der eisenfaust
    Die ersten Monate waren die schwersten. Jede Nacht hatte Liesel Albträume. Das Gesicht ihres Bruders. Das zu Boden starrt.
    Sie wachte auf, schwamm in ihrem Bett, schrie und drohte in der Flut ihrer Decken zu ertrinken. Auf der anderen Seite des Zimmers trieb das Bett, das für ihren Bruder bestimmt gewesen war, wie ein Boot in der Finsternis. Langsam sank es zu Boden, während das Bewusstsein wiederkehrte. Keine wirkliche Erleichterung - und für gewöhnlich dauerte es eine ganze Weile, bis das Schreien aufhörte.
    Das einzig Gute an diesen Albträumen war, dass sie Hans Hubermann, ihren neuen Papa, zu ihr ins Zimmer trieben, um sie zu beruhigen und sie zu trösten.
    Er kam jede Nacht und setzte sich zu ihr. Die ersten paar Male blieb er einfach nur da - ein Fremder, der die Einsamkeit tötete.
    Ein paar Nächte später flüsterte er: »Sch, sch, ist ja gut, ich bin ja da.«
    Nach drei Wochen nahm er sie in den Arm. Schnell war Vertrauen geschaffen, angesichts der überwältigenden Stärke, die der Sanftheit dieses Mannes innewohnte, angesichts seines Daseins. Das Mädchen wusste intuitiv, dass Hans Hubermann stets mitten im Schreien auftauchen und dass er sie nicht alleinlassen würde.
    EINE DEFINITION, DIE IN KEINEM WÖRTERBUCH STEHT
    Nicht alleinlassen: ein Beweis des Vertrauens und der Liebe, oft empfunden von Kindern
    Nacht für Nacht saß Hans Hubermann mit schläfrigen Augen auf dem Bett, und Liesel weinte in seinen Ärmel. Jeden

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