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Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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nicht einmal jetzt waren wir uns hundertprozentig
sicher, dass sie tatsächlich bloß das waren, was sie
zu sein vorgaben. Mir ging durch den Sinn, wie es wäre, wenn
wir sie jemals als Ausbruch behandeln und mit einer
Orbitallöschung gegen sie vorgehen müssten. Dann
würde es keine Warnung, keine Evakuierung, keinen
Last-Minute-Einsatz der Ökologen geben.
    Das Affending sprang von Megs Arm auf meinen. Ich ließ
zu, dass es auf meine Schulter kletterte, und glättete die
Vertiefung in meinem Schoß. Ich schaute hoch.
    »Also gut«, sagte ich. »Ganz wie Sie
wollen.« Ich zuckte die Achseln, als der künstliche
Pelz des künstlichen Tieres meine Wange streifte. »Tun
Sie, was Sie für das Beste halten.« Ich erhob mich und
lächelte beide an.
    Wilde wirkte für einen Moment ratlos. Ich hoffe, mein
schnelles Nachgeben hätte ihn dermaßen aus dem
Gleichgewicht gebracht, dass er sich anders besinnen würde.
Doch es klappte nicht. Ich würde auf meine zweite Option
zurückgreifen müssen, die schwieriger und
gefährlicher war und auch geringere Erfolgsaussichten
hatte.
    »Auf Wiedersehen«, sagte ich. »Wir sehen
uns.«
    Wahrscheinlich in der Hölle.
    *
    Ich beugte mich über das Geländer auf dem Dach der
Casa Azores und blickte in die Tiefe. Der Boden lag tausend Meter
unter mir. Ich hatte keine Höhenangst. Ich war schon auf
höhere Bäume geklettert. Entlang des Strandes brannten
Laternen, Boote schaukelten auf dem Wasser, dann kam ein
Wellenbrecher; und dahinter blaugrüne Algenfelder,
Fischfarmen und Tangplantagen und Meerwärmekonverter, bis
zum Horizont. Luftschiffe – ob sie auf Nachtschicht waren
oder mit Touristen besetzt, war nicht zu erkennen –
schwebten wie silbrige Wolken darüber. Das Gebäude
stand zwar mitten in dieser thermischen Kraft, bezog den Strom
aber woanders her. Technisch gesehen handelte es sich um einen
Carson Tower, der seine Energie von der im Mittelschacht
herabfallenden kalten Luft bezog, mit der Turbinen betrieben
wurden.
    Es war kalt auf dem Dach. Ich drehte mich um, legte mir das
Bolerojäckchen um die Schultern und schaute zum Himmel hoch.
Als sich meine Pupillen geweitet hatten, machte ich inmitten der
zahlreichen Orbitalfabriken, Spiegel, Lichtsegel, Satelliten und
Habitate den Jupiter aus. Mit einem Fernglas hätte ich
Callisto, Io und Europa sehen können – und den Ring.
Dies war ein ebenso gutes Symbol für die Mächte, mit
denen wir es zu tun hatten, wie jedes andere.
    Unsere Feinde hatten mit einem Verfahren, das noch zwei
Jahrhunderte später als nur unvollständig
verstanden galt, Ganymed, den größten Jupitermond,
zerstört. Davon zurückgeblieben war ein Ring kreisender
Trümmer und Besorgnis erregender Maschinen. Außerdem
gab es noch etwas weitaus Beeindruckenderes und Bedrohlicheres,
das sich ursprünglich innerhalb des Rings befunden hatte,
sich mittlerweile aber deutlich außerhalb befand,
nämlich einen sechzehnhundert Meter breiten Riss im
Raum-Zeit-Kontinuum, ein Wurmloch, eine Brücke zu den
Sternen.
    Vor zwei Jahrhunderten waren uns die Außenweltler
– Menschen wie wir, die sich mit uns nur wenige Jahre zuvor
in der stickigen Enge primitiver Weltraumhabitate über
Politik gestritten hatten – sehr unähnlich geworden:
posthuman und übermenschlich zugleich. Sozusagen
gottähnliche Menschen. Der Ring und das Tor waren ihr
Werk.
    Auf den Triumph folgte die Nemesis. Ihre beschleunigten
Bewusstseine stießen entweder an eine Grenze, oder sie
wurden erleuchtet oder schweiften einfach bloß ab. Die
meisten lösten sich auf, andere trieben in die
Jupiteratmosphäre, wo sie wieder einen gewissen Kontakt zur
Realität herstellten.
    Mit uns nahmen sie einige Jahre später Kontakt auf, und
zwar in Form von funkübermittelten Informationsviren, mit
denen sie uns zwar nicht besiegten, die aber jeden Computer im
Sonnensystem zum Absturz brachten. Das dunkle zweiundzwanzigste
Jahrhundert kam über uns wie Nieselregen.
    Die Menschheit überstand die Herbstrevolution, den
Grünen Tod und den Großen Crash und hatte zum Ende des
dunklen Jahrhunderts eine tiefe Abneigung gegen das
kapitalistische System (das die Herbstrevolution hervorgebracht
hatte) verinnerlicht, gegen die Grünen (die am Crash schuld
waren) und gegen die Außenweltler (die für den Crash
verantwortlich waren und deren Virenprogramme die elektronische
Datenverarbeitung und die Kommunikation nach wie vor bestenfalls
zu einem

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