Die Cassini-Division
hoch. »Ich habe sie selbst gebaut.«
Es war das erste Mal, dass ich eine Kamera in allen
Einzelheiten sah. Mein Interesse war nicht vollständig geheuchelt, doch nachdem er sich eine
Weile über Celluloidfilm und Brennweiten ausgelassen hatte,
schien er nicht verwundert darüber, dass ich den Blick
umherschweifen ließ.
»Amüsieren Sie sich nur, Ellen«, meinte er
lächelnd.
»Ich kümmere mich mal um die anderen
Neuankömmlinge.«
»Bis später.« Ich sah ihm nach, als er sich
einen Weg zurück zum Eingang bahnte. Dann würde mein
Foto also in der Gebäudezeitung auftauchen, und
hunderttausend Menschen würden es sehen. Ruhm. Jedoch nicht
die Art, um die ich mir hätte Sorgen machen müssen. Wir
befanden uns mitten im Atlantik, mitten im Nichts.
Die Casa Azores lag (oder liegt, aber das erscheint mir
unpassend – ich halte mich lieber ans Imperfekt, obwohl mir
die Erinnerungen scharf und deutlich vor Augen stehen) auf
Graciosa, einer kleinen Insel im Nordatlantik, einem Meer auf der
Erde, das es vermutlich noch heute gibt. Es war so weit von allem
entfernt, dass man die Nachbarinseln nicht einmal von der in
einem Kilometer Höhe gelegenen Aussichtsetage aus sehen
konnte. Der Ausblick aufs Meer und den Himmel mochte
beeindruckend sein, doch gegenwärtig reflektierten die
riesigen Fenster bloß die Lichter aus dem
Gebäudeinneren. Der Lift, der mich hochgebracht hatte,
befand sich am Rand, und ich musste es in den nächsten paar
Stunden bis zur Mitte schaffen, bevor ich zu erschöpft war,
um nachzudenken.
Ich leerte das Glas, ergriff eine Flasche guten Sungrazer
Stolichnya, drückte dem Affen ein paar Stielgläser in
die kleinen Finger und stürzte mich ins Gewühl.
*
»Nanotech an sich ist eine gute Sache«,
erklärte eine kleine, sehr angespannt wirkende
Künstlerin. »Ich meine, man kann die Atome sehen, nicht wahr? Aber mit den verdammten Waldoes kann
man sie auch spüren, sie bewegen und zusammenkleben.
Das ist eine mechanische Verbindung, die bis in die Finger
reicht. Bis in den Monitor. Aber dieses ganze Quantenzeug ist
irgendwie unheimlich… «
Sie hatte noch andere Zuhörer. Ich ging weiter.
*
»Du kommst aus dem Weltraum? Ist ja toll. Ich arbeite
mit den Leuten im Orbit zusammen. Wir sind der Löschtrupp.
Immer dann, wenn irgendwo ein Replikator undicht wird, ein
natürlicher oder ein Nano, ist eh egal… jedenfalls
gehen wir vor der Löschung die Evakuierungszone ab, erstens,
um zu überprüfen, dass niemand mehr da ist, und
zweitens, um alles aufzunehmen und aufzuzeichnen, was verloren
gehen könnte. Viel Zeit hat man nicht, man steckt in einem
Schutzanzug, der aus nahe liegenden Gründen abgeblitzt wird,
bevor man rauskommt – dabei geht auch ein Großteil
der Körperbehaarung flöten –, aber man sieht und
spürt und hört trotzdem eine ganze Menge, und je
nachdem, wie schnell der Ausbruch sich ausbreitet, ist im Umkreis
von zehn, zwanzig Kilometern kein anderer Mensch in der
Nähe. Weißt du, fast bei jedem Einsatz habe ich eine
Spezies entdeckt, die nicht im Speicher war. Manchmal eine ganz
neue Gattung. Wissenschaftlich nicht erfasst, wie es so
schön heißt. Irgendwann gingen mir die Freundinnen
aus, nach denen ich sie hätte benennen können, da
musste ich doch tatsächlich mit meinen Verwandten anfangen. Und dann kommt man raus und sitzt mit der Schutzbrille
da und beobachtet die Löschung. Ich seh’s gern
blitzen, ist fast so gut wie ’ne Atomexplosion.«
Der Ökologe hielt inne und nahm noch einen tiefen Zug aus
der Wasserpfeife. Als er mir das Mundstück anbot, lehnte ich
dankend ab. Er seufzte.
»Aber wenn keiner um einen rum ist… Das ist schon
eine tolle Erfahrung, wie in der Wildnis.«
Ich hatte den Raum mittlerweile zur Hälfte durchquert.
Ich wollte dem berauschten Wissenschaftler einen Schluck Wodka
anbieten, doch der Affe hatte in einem Anfall von Zerstreutheit
das letzte Glas ausgetrunken. Dem Wissenschaftler war es egal. Er
versicherte mir, er werde sich meinen Namen merken und irgendwann
einen Käfer, eine Wanze oder ein Bakterium nach mir
benennen. Mir war sein Name bereits wieder entfallen. Oder er
hatte ihn mir gar nicht genannt, oder… offenbar war ich
als Passivraucherin in Mitleidenschaft gezogen. Ich bedankte mich
bei ihm und ging weiter.
»Das sollst du nicht machen«, murmelte ich.
»Es ist zu verräterisch.« Eine kalte Pfote
kitzelte mich am Ohr, und eine leise, summende Stimme
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