Die Catilina Verschwörung
hocherfreut über diese Unterbrechung meiner Routine. »Irgendeine Ahnung, wer das Opfer ist?«
»Nein«, erwiderte der Mann. »Wir haben uns nicht getraut, ihn anzurühren. Nicht, dass ich Angst vor Geistern oder Flüchen von Toten hätte, aber einige der Männer schon.«
Das war typisch. Wir brachten überall auf der Welt mit Begeisterung Menschen um, wir ließen uns von gewaltsamen Toden in Amphitheatern unterhalten, aber trotzdem hatten die Römer Angst, Leichen zu berühren.
»Dann lauf zum Tempel der Libitina und lass sie einen Priester und ein paar Bestatter vorbeischicken, damit die entsprechenden Zeremonien durchgeführt werden. Wir können die Leiche nicht einfach auf der Straße liegen lassen, bis ein Verwandter oder Besitzer auftaucht, um sie in Anspruch zu nehmen.«
»Einen Besitzer wird es wohl nicht geben, Quaestor«, sagte der Vigil. »Sieh ihn dir an.«
Die Menge teilte sich, und ich erblickte den Toten. Die zerknitterte Toga bedeckte sein Gesicht, aber man konnte genug von der Tunika sehen, um den purpurnen Streifen zu erkennen, der vom Kragen bis zum Saum lief. Es war nicht der breite Streifen der Senatoren, sondern der schmale der Equites. Die Leiche lag auf dem Bauch, und eine Hand ragte unter den Stoffalten hervor; an ihr steckten eine Reihe schwerer Goldringe, die im heller werdenden Licht des Morgens glitzerten. In der Mitte des Rückens durchbohrte ein Dolch Toga und Körper. Ein großer, kreisrunder Blutfleck umgab die Klinge und beschmutzte das strahlende Weiß der Toga.
»Vigiles«, rief ich den Männern zu, die mit Wassereimern in der Hand herumstanden, »haltet die Leute zurück und sorgt dafür, dass die Straße passierbar bleibt.«
Sie taten wie geheißen.
Ich hockte mich neben die Leiche, wobei ich darauf achtete, meine Toga nicht über das schmutzige Pflaster streifen zu lassen, und vor allem bemüht war, die Leiche nicht zu berühren. Ich hatte zwar keine Angst vor Geistern und Flüchen, aber wenn ich sie berührte, war ich verunreinigt und musste eine Anzahl lästiger Reinigungszeremonien durchlaufen, bevor ich den Tempel wieder betreten durfte.
Der Griff des Dolches war eigentümlich geschnitzt, aber mehr vermochte ich im noch immer trüben Licht nicht zu sagen. Ich nahm mir vor, später einen genaueren Blick darauf zu werfen. Über den Toten ließ sich nichts weiter feststellen als sein Rang, und mehr würde ich auch nicht erfahren, bis die Libitinarii eintrafen, um ihn umzudrehen. Ich war fast ein wenig enttäuscht, dass sein Purpurstreifen nicht breiter war. Es gab ein paar Senatoren, die ich ganz gern in diesem Zustand gesehen hätte. Was noch schlimmer war, es konnte sich nicht einmal um einen Patrizier handeln; andernfalls hätte ich mich an dem Gedanken erwärmen können, dass es möglicherweise Clodius’ Gesicht war, das ich zu sehen bekommen würde.
Wenige Minuten später bahnte sich ein Liktor seinen Weg durch die Menge, wobei die Leute wie verzaubert vor seinen Fasces zurückwichen. Ihm folgte ein Senator, den ich erkannte. Es war Gaius Octavius, der in diesem Jahr zum Untersuchungsrichter ernannt worden war. Als er eintraf, stand ich auf.
»Der Praetor Rufus hat mich geschickt, damit ich ihm in dieser Angelegenheit Bericht erstatte«, sagte Octavius. »Ich vermute, es gab keine Zeugen?«
»Gibt es die je?« erwiderte ich.
»Wer ist es?«
»Das wüsste ich auch gern«, meinte ich. »Vielleicht werden wir es bald erfahren. Hier kommen die Bestatter.«
Am Ende der Straße bot sich ein Anblick, der die Römer garantiert zur Seite treten lässt: die Libitinarii im Gefolge ihres Priesters mit seinem langstieligen Hammer. Mit ihren langen roten Tuniken, ihren hohen, geschnürten Stiefeln, ihren etruskischen Spitzbärten, den breitkrempigen Filzhüten und den langen, spitzen, falschen Ohren waren sie der gespenstischste Anblick, den man sich so früh am Morgen vorstellen konnte. Die Leute sprangen zurück und reckten ihnen aus ihren geballten Fäusten die Daumen entgegen oder zogen winzige Phallus-Amulette hervor und zeigten mit ihnen auf die Libitinarii.
Wortlos trat der Priester neben die Leiche und berührte sie mit seinem Hammer, um sie so der Obhut der Göttin der Unterwelt zu unterstellen. Ein Helfer trug ein Kästchen herbei und öffnete es, bevor der Priester einen langen Gesang anstimmte, wobei er dem Kästchen von Zeit zu Zeit Flüssigkeiten oder Puder entnahm und sie auf die Leiche tröpfelte oder stäubte. Als das Lustrum beendet war, klappte der
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