Die Champagnerkönigin
umdrehen, um zu wissen, dass es ihre Schwiegermutter war, die in der Tür stand. Nebelfeuchte Luft und der Gestank des Schweinekobens waren mit ihr in die Küche gelangt.
»Das Messer ist stumpf. Schneller geht es nun mal nicht«, erwiderte sie gereizt.
»Ein schlechter Handwerker gibt immer dem Werkzeug die Schuld!« Anni Feininger zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu Isabelle an den Küchentisch.
»Stell dir vor, es ist ein Brief gekommen, für Leon von –« Abrupt brach sie ab, als ihr Blick auf die bereits geschälten Kartoffeln fiel. »Du hast ja schon wieder die halben Kartoffeln mit weggeschnitten! Lernst du es denn nie?« Über den Tisch hinweg riss Leons Mutter Isabelle das Messer aus der Hand, dann schnappte sie sich schmallippig eine der schmutzigen Kartoffeln. Der Brief, bei dessen Erwähnung in Annis Stimme zum ersten Mal so etwas wie Aufregung mitgeschwungen hatte, landete achtlos auf den Kartoffelschalen, deren rotbrauner Staub sogleich den cremefarbenen Umschlag verschmutzte.
Wie oft wollte Anni ihr eigentlich noch zeigen, wie man eine Kartoffel schält?, fragte sich Isabelle, während sie neugierig auf den Brief linste. »Für Herrn Leonard Feininger« stand dort in einer steifen Handschrift geschrieben, den Absender konnte sie leider nicht lesen. Es dauerte einen Moment, bis sie verstand, dass »Herr Leonard« Leon war. Sie vermochte sich nicht vorzustellen, wer etwas von ihm wollte.
»So geht das!« Triumphierend hielt Leons Mutter einen hauchdünnen Kartoffelschalenkringel in die Höhe.
»Dann mach die Arbeit doch selbst«, sagte Isabelle schnippisch. »Ich bin nicht zum Kartoffelschälen erzogen worden!« Und schon rauschte sie davon.
Wo war Leon eigentlich? Angestrengt schaute Isabelle aus der aufgerissenen Haustür. Doch der Nebel, der sich über das Dorf gelegt hatte, war so dicht, dass sie nicht einmal die Nachbarshäuser erkennen konnte. In dieser trüben Suppe würde er doch keine längere Tour machen, oder? Andererseits – Leon fuhr Rad, wann immer ihm der Sinn danach stand, das Wetter oder andere Umstände spielten dabei keine Rolle. Ihr schöner, wilder Fahrradfahrer. Vielleicht würde ihr selbst ein bisschen frische Luft auch guttun? Einmal hinauf auf den Berg hinterm Haus und dann wieder hinunter, damit sie nicht ganz ihre Form verlor. Resolut schnappte Isabelle ihre Jacke und einen Schal von der Garderobe.
Die Luft war feucht und schwer, das Durchatmen tat ihr in den Lungen weh. Was mache ich hier eigentlich?, dachte sie ärgerlich, als sie an einer glitschigen Stelle am Berg fast ausrutschte. Angewidert schaute sie sich in der Einöde um. Wo war sie nur gelandet …
»Du bist zum Heiraten erzogen worden.« Erneut kamen Isabelle die Worte ihrer Mutter in den Sinn, und sie hatte plötzlich das Gefühl, als hätte die Unterhaltung erst gestern stattgefunden. Dabei lag sie schon mehr als zwei Jahre zurück …
Am Nachmittag jenes Tages hatte sie ihre Freundin Josefine in deren neuem Zuhause besucht. Clara war ebenfalls mit von der Partie gewesen. Josefine, Clara und sie – unzertrennlich wie fast immer. Sie waren so neugierig gewesen zu sehen, wie Josefine sich in ihrem geerbten Häuschen eingerichtet hatte! Zu Isabelles Erstaunen hatte jedoch alles ausgesehen wie früher, als noch die alte Frieda darin gewohnt hatte. Dieselben abgenutzten Möbel, die Flickenteppiche am Boden – nichts, aber auch gar nichts hatte Josefine nach ihrem Einzug verändert. Sogar gerochen hatte es wie eh und je! Nach den eingelagerten Kartoffeln im Keller und nach den muffigen Wolldecken, die die alte Frieda über sämtliche Sofas und Sessel drapiert hatte. Die Katze mit dem Namen Mäusle, die sich überall breitmachte und ihre Haare verlor, hatte ihre eigene Geruchsnote hinzugefügt. Isabelle war alles recht ärmlich vorgekommen, gleichzeitig jedoch hatte sie es rührend gefunden, dass Josefine das Andenken an ihre verstorbene Gönnerin auf diese Weise hochhielt.
»Wollen wir uns eine kräftige Suppe kochen? Ich habe Gemüse da und ein gutes Stück Fleisch«, hatte Josefine vorgeschlagen.
»Wir sollen Suppe kochen?« Entgeistert starrte Isabelle ihre Freundin an. Eine gekühlte Flasche Sekt, ein paar Häppchen oder wenigstens eine Torte zur Einweihung – das war das mindeste, was sie erwartet hätte!
Clara hingegen hatte an Josefines Vorschlag nichts auszusetzen gehabt. Einträchtig schälten sie und Josefine Möhren und Kartoffeln, während sie, Isabelle, neidisch von der Eckbank
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