Vollmondstrand
1
»Önopsychologie – das wär’s!« Rosa schwenkte das Weinglas zur Bekräftigung. »Die Leute kommen in die Praxis und erzählen. Du machst Notizen und sagst gegen Ende der Stunde: Also, Frau Meier, in Ihrem Fall empfehle ich eine Flasche Merlot, Jahrgang 2007, aus dem Weingut Heiling in Halbturn. Wenn Sie die Flasche leer haben, rufen Sie mich an wegen eines neuen Termins.«
»Ich halt’s nicht aus«, kam von ihrem Gegenüber zurück. Maria kannte ihre Freundin gut genug, ihr so manchen Einfall zuzutrauen. Über die Jahre war schließlich einiges zusammengekommen.
»Stell dir vor, die gehaltvollen Fortbildungen, alle in fruchtbaren Gegenden: dem Burgenland, der Südsteiermark!«, fuhr Rosa beschwingt fort.
»Oder in Napa Valley«, kicherte Maria.
»Ja, das wär’s. Für jedes Problem und jeden Einzelnen hätten wir die passende Lösung parat, fix und fertig abgefüllt in Flaschen. Wir müssten die beiden nur zusammenbringen. Du weißt schon, allein die Menge macht’s!« Rosa hob dozierend den Zeigefinger, sie war in ihrem Element.
Seit Sonnenuntergang saßen die beiden Frauen auf Lederhockern an der Bar ihrer Lieblingsvinothek. Beide waren Anfang 40. Rosa trug ein dunkles Wickelkleid, das ihre weiblichen Formen gekonnt unterstrich, Maria betonte ihre burschikose Seite mit Jeans und Ringelpulli. Auch in der Art, wie sie das Haar trugen, zeigten sie keinerlei Gemeinsamkeiten: langes, dunkles Haar auf der einen und kurzes, rotes auf der anderen Seite. Im Geiste ähnelten die beiden einander mehr als im Äußeren. Was sie schon alles zusammen erlebt hatten – doch das war nichts gegen das, was ihnen nun ins Haus stand!
Die Menge, ja, die macht’s wirklich, dachte Rosa, als sie am nächsten Morgen schwungvoll aus dem Bett hüpfen wollte. Die Sonne blinzelte ins Obergeschoss der modern ausgestatteten Villa am Ortsrand und machte sie so ein wenig behaglicher.
Oder waren es vielleicht die drei italienischen Zigaretten, die sie und Maria zu später Stunde noch tief inhaliert hatten, so gaaanz genussvoll, dämmerte es ihr. Als Abschluss des Urlaubs und zur weichen Landung. Als könnte es so etwas überhaupt geben … Bei allen Urlaubern schien die Heimkehr irgendwie zu klappen, nur bei Rosa nicht, und schon gar nicht dieses Mal.
Vorgestern noch am Vollmondstrand und heute in der Praxis am See.
Es hätte aber noch schlimmer kommen können, dachte sie und wollte sich damit selbst trösten, zum Beispiel Wien-Simmering. Ich kann heute in der Mittagspause mit dem Rad zur Mole fahren, der Waldi macht mir einen Salat mit Rindfleischstreifen, und ich kann übers Wasser schauen. Vielleicht wird’s ja doch noch eine sanfte Landung. Auf irgendetwas zu Hause hatte sich Rosa immer freuen können: auf die Katzen, ihre Freundinnen oder einfach auf das Vogelgezwitscher und den Duft, wenn sie morgens das Fenster öffnete.
Zwei Stunden später hatte Rosa eine aufgebrachte Putzhilfe beruhigt, die tote Taube vor der Eingangstür selbst entsorgt und gleichzeitig die ersten Schwangeren begrüßt. Morgenduft hin oder her, die Patientinnen standen um neun Uhr vor der Tür. Es hatte definitiv Vor- und Nachteile, die Praxis im Wohnhaus zu führen. Frühstück fiel heute aus.
Dafür stand Geburtsvorbereitung auf dem Plan. Schwangere Frauen erschienen in rosa Ballerinas oder derben Schnürschuhen. So war es immer schon gewesen.
Rosa liebte es, in ihrem ockerfarbenen Entspannungsraum die Frauen dorthin zu bringen, wo ihre Welt noch in Ordnung war. Bei abgedunkeltem Licht und Wildrosenduft zu beobachten, wie versteckte, kleine Ärmchen ruhiger boxten, um irgendwann ganz stillzuhalten, gefiel ihr besonders.
So lagen die Mütter auch heute, angeschlossen an ihre eigenen Kraftquellen, auf der Matte und bemerkten die feuchten Augen der Psychologin nicht.
Kinder, dachte Rosa, ich hätte nie gedacht, dass ich das verstehen könnte, diesen Wunsch, diese Liebe zu den zarten Wesen! Bisher war Kinder-Haben immer nur ›nett‹ gewesen. Und wie bei einem Mann, der nur ›nett‹ war, hatte auch diese Liebe keine Früchte getragen: Rosa und Kinder. Vielleicht hatte sie zu viele Mütter erlebt, die ihre eigenen Knitterfalten am Nachwuchs auszubügeln versuchten? Musste sie diesen Umweg deshalb nicht ansteuern, weil sie selbst etwas aus ihrem Leben gemacht hatte – oder war sie schlicht zu feig?
Rosa hatte keine Kinder. Rosa hatte Marti. Marti maß einen Meter und 90, aber innen drinnen brauchte er viel Verständnis. Es fiel ihr schwer, sich
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