Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
aber sofort zu dem Magier eilte. »Ich möchte einen Blick auf die Stadt Tarsis, die Schöne, werfen.«
Tanis musterte ihn unruhig, aber Raistlins Miene war wie immer ausdruckslos und kalt.
»Nun gut«, sagte der Halb-Elf. »Aber du wirst dich auf dem Berg wie ein Blutfleck ausmachen. Leg dir einen weißen Umhang über.« Das sardonische Lächeln des Halb-Elfs war eine fast perfekte Nachahmung von Raistlins Lächeln. »Leih dir einen von Elistan.«
Tanis, der oben auf dem Hügel stand und über die legendäre Hafenstadt Tarsis, die Schöne, schaute, begann leise zu fluchen. Er zog seine Kapuze tiefer über sein Gesicht und starrte in bitterer Enttäuschung auf die Stadt hinunter.
Caramon stieß seinen Bruder an. »Raist«, sagte er. »Was ist los? Ich verstehe nicht.«
Raistlin hustete. »Dein Gehirn ist in deinem Schwertarm, mein Bruder«, flüsterte der Magier sarkastisch.»Schau auf Tarsis, die legendäre Hafenstadt.Was siehst du?«
»Nun . . .« , Caramon blinzelte. »Sie ist eine der größten Städte, die ich je gesehen habe. Und da sind Schiffe, solche, von denen wir auch gehört haben...«
»Die weißgeflügelten Boote von Tarsis, der Schönen«, zitierte Raistlin bitter. »Du siehst jetzt also auf die Boote, mein Bruder. Fällt dir dabei etwas Besonderes auf?«
»Sie befinden sich keineswegs in gutem Zustand. Die Segel sind zerfetzt und...« Caramon blinzelte wieder, dann keuchte er. »Da ist kein Wasser!«
»Sehr aufmerksam.« »Aber die Karte des Kenders . . .« »Stammt noch aus der Zeit vor der Umwälzung«, unterbrach Tanis. »Verdammt, ich hätte das wissen müssen! Ich hätte diese Möglichkeit in Betracht ziehen müssen! Tarsis, die Schöne – legendäre Hafenstadt – jetzt landumschlossen!«
»Und das zweifellos seit dreihundert Jahren«, wisperte Raistlin. »Als das feurige Gebirge vom Himmel stürzte, schuf es Seen, wie wir in Xak Tsaroth gesehen haben, aber es zerstörte sie auch. Was machen wir jetzt mit den Flüchtlingen, Halb-Elf?«
»Ich weiß es nicht«, knurrte Tanis wütend. Er starrte noch einmal auf die Stadt, dann drehte er sich um. »Es hat keinen Sinn, hier noch länger herumzustehen. Das Meer wird wegen uns nicht zurückkommen.« Er ging langsam den Hügel hinunter.
»Was werden wir tun?« fragte Caramon seinen Bruder. »Wir können nicht nach Südtor zurück. Ich weiß , etwas oder jemand ist uns die ganze Zeit gefolgt.« Er blickte sich besorgt um. »Ich spüre, daß wir beobachtet werden – sogar jetzt.«
Raistlin hakte sich bei Caramon ein. Einen seltenen Moment lang sahen sich die beiden bemerkenswert ähnlich.
»Du bist klug, deinen Gefühlen zu vertrauen, mein Bruder«, sagte Raistlin leise. »Wir sind von großer Gefahr und großem Unheil umgeben. Ich spüre dieses Gefühl in mir wachsen, seitdem die Leute in Südtor angekommen sind. Ich versuchte, sie zu warnen . . .« Ein Hustenanfall unterbrach ihn.
»Woher weißt du es?« fragte Caramon.
Raistlin schüttelte den Kopf, einige Momente unfähig, zu antworten. Als der Hustenanfall vorüber war, holte er zitternd
Luft und blickte seinen Bruder wütend an. »Hast du immer noch nicht begriffen?« fragte er bitter. »Ich weiß es! Nimm es so hin. Ich habe für mein Wissen in den Türmen der Erzmagier bezahlt. Ich zahlte dafür mit meinem Körper und fast mit meinem Verstand. Ich zahlte dafür mit...« Raistlin hielt inne und sah zu seinem Bruder.
Caramon war blaß und schweigsam, wie immer, wenn die Prüfung erwähnt wurde. Er wollte etwas sagen, unterdrückte es aber und räusperte sich. »Es ist nur, daß ich nicht verstehe . . .«
Raistlin seufzte, schüttelte den Kopf und löste sich von seinem Bruder. Dann begann er langsam, auf seinen Stab gestützt, den Hügel hinunterzugehen. »Du wirst auch nie verstehen«, murmelte er. »Niemals.«
Vor dreihundert Jahren war Tarsis, die Schöne, die Herrscherstadt von Abanasinia gewesen.Von hier segelten die weißgeflügelten Boote in alle bekannten Länder auf Krynn. Hierher kehrten sie zurück und brachten alle Arten von Gegenständen, wertvoll und merkwürdig, abscheulich und köstlich, mit. Der Marktplatz von Tarsis war ein Platz der Wunder. Matrosen stolzierten durch die Straßen, ihre goldenen Ohrringe blitzten genauso hell wie ihre Messer. Die Schiffe brachten exotische Leute aus entfernten Ländern mit, die hier ihre Waren verkauften. Einige waren farbenfroh gekleidet, in fließende Seide, mit Juwelen herausgeputzt. Sie verkauften Gewürze und
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