Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
real, daß Caramon voller Beunruhigung und Angst auf seinen eigenen Körper schaute, ob er auch wirklich hier wäre. Aber er war da. Er schien zur gleichen Zeit an zwei Orten zu sein. Wahre Macht. Der Krieger begann zu schwitzen, dann erbebte er vor Kälte.
Caramon – der Caramon in dem Turm – sucht seinen Bruder. Er wandert durch die leeren Korridore und ruft Raistlins Namen. Und schließlich findet er ihn.
Der junge Magier liegt auf dem kalten Steinboden. Blut fließt aus seinem Mund. Neben ihm liegt der Körper eines dunklen Elfen, tot – durch Raistlins Magie. Aber der Preis dafür ist schrecklich. Der junge Magier scheint selbst dem Tod nahe zu sein.
Caramon läuft zu seinem Bruder und hebt den zerbrechlichen Körper mit seinen starken Armen hoch. Er ignoriert Raistlins verzweifelte Bitten, ihn allein zu lassen, und macht sich daran, seinen Zwillingsbruder aus dem bösen Turm zu tragen. Er wird Raistlin von diesem Ort fortbringen, komme, was wolle.
Aber gerade als sie die Tür erreichen, sehen sie eine Geisterscheinung. Eine weitere Prüfung, denkt Caramon grimmig. Nun, dieser Prüfung wird Raistlin sich nicht unterziehen müssen. Sanft legt er seinen Bruder auf den Boden und wendet sich dieser Herausforderung zu.
Was dann geschieht, macht keinen Sinn. Der beobachtende Caramon blinzelt erstaunt. Er sieht sich einen Zauberspruch werfen! Er hat sein Schwert fallen lassen und hält seltsame Gegenstände in den Händen und beginnt Worte zu sprechen, die er nicht versteht! Blitze schießen aus seinen Händen! Die Geisterscheinung verschwindet mit einem Aufschrei.
Der richtige Caramon wirft Par-Salian einen verstörten Blick zu, aber der Magier schüttelt nur den Kopf und zeigt wortlos zu dem Bild, das vor Caramons Augen flackert. Ängstlich und verwirrt wendet sich Caramon wieder der Vision zu.
Raistlin erhebt sich langsam.
»Wie hast du das geschafft?« fragt Raistlin Caramon, der an der Mauer lehnt.
Caramon weiß es nicht. Wie konnte er etwas tun, wozu sein Bruder jahrelange Studien brauchte! Aber der Krieger sieht sich selbst eine schlagfertige Erklärung abgeben. Caramon sieht auch den schmerzlichen und gequälten Blick im Gesicht seines Bruders.
»Nein, Raistlin!« schreit der echte Caramon. »Es ist ein Trick! Ein Trick von diesem alten Mann! Ich kann so etwas nicht! Ich habe dir niemals deine Magie gestohlen! Niemals!«
Aber der Caramon in der Vision – großspurig und draufgängerisch – macht sich daran, seinen »kleinen« Bruder zu »befreien«.
Raistlin hebt seine Hände und hält sie seinem Bruder entgegen. Aber nicht, um ihn zu umarmen. Nein. Der junge Magier, krank und verletzt und verzehrt vor Eifersucht, beginnt die Worte eines Zaubers zu sprechen – den letzten Zauber, zu dem er noch Kraft hat.
Flammen blitzen aus Raistlins Händen. Das magische Feuer bauscht sich vor und verschlingt seinen Bruder . . .
Caramon sieht, vor Entsetzen wie gelähmt, zu, wie er in der Vision von dem Feuer verzehrt wird... Er sieht zu, wie sein Bruder auf dem kalten Steinboden zusammenbricht.
»Nein! Raist . . .«
Kühle, sanfte Hände berührten sein Gesicht. Er konnte Stimmen hören, aber ihre Worte waren bedeutungslos. Er konnte verstehen, wenn er wollte. Aber er wollte sie nicht verstehen. Seine Augen waren geschlossen. Er konnte sie öffnen, aber er weigerte sich. Die Augen zu öffnen, die Worte zu verstehen – das würde seinen Schmerz nur real werden lassen.
»Ich muß mich ausruhen«, hörte Caramon sich sagen, dann sank er in die Dunkelheit zurück.
Wieder nähert er sich einem Turm, aber diesmal ist es ein anderer. Es ist der Sonnenturm in Silvanesti. Wieder ist Raistlin bei ihm, aber nun trägt sein Bruder die Schwarze Robe. Und
jetzt ist es Raistlin, der Caramon hilft. Der große Krieger ist verletzt. Blut strömt ununterbrochen aus einer Speerwunde, die ihn fast seinen Arm gekostet hätte.
»Ich muß mich ausruhen«, sagt Caramon.
Sanft legt Raistlin ihn auf den Boden, macht es ihm bequem, lehnt ihn mit dem Rücken gegen den kalten Stein des Turms. Und dann macht Raistlin sich auf, ihn zu verlassen.
»Raist! Nein...«, schreit Caramon. »Du kannst mich hier nicht liegen lassen!«
Der verletzte, hilflose Krieger sieht Horden von untoten Elfen, von denen sie in Silvanesti angegriffen worden waren und die nur darauf warten, auf ihn loszustürmen. Nur eins hält sie noch zurück – die magische Macht seines Bruders.
»Raist! Laß mich nicht allein!« schreit er.
»Wie
Weitere Kostenlose Bücher