Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
ist es, wenn man schwach und einsam ist?« fragt Raistlin ihn sanft.
»Raist! Mein Bruder . . .«
»Ich habe ihn schon einmal getötet, Tanis, ich kann es wieder tun!«
»Raist! Nein! Raist!«
»Caramon, bitte...« Eine andere Stimme, sanft. Sanfte Hände berührten ihn. »Caramon, bitte! Wach auf! Komm zurück, Caramon. Komm zu mir zurück. Ich brauche dich.«
Nein! Caramon schob diese Stimme weg. Er schob die sanften Hände weg. Nein, ich will nicht zurückkommen. Ich will nicht. Ich bin müde. Ich bin verletzt. Ich will mich ausruhen.
Aber die Hände, die Stimme ließen ihn nicht ausruhen.
Und jetzt fällt er, fällt in eine entsetzlich rote Finsternis. Skelettfinger umklammern ihn, augenlose Köpfe wirbeln an ihm vorbei, ihre Münder zu stummen Schreien geöffnet. Er holt Luft, dann versinkt er in Blut. Nach Atem ringend, findet er schließlich fast erstickt den Weg zur Oberfläche zurück und schnappt nach Luft. Raistlin! Aber nein, er ist verschwunden. Seine Freunde. Tanis. Auch verschwunden. Er sieht, wie er weggespült wird. Das Schiff. Verschwunden. Zerborsten. Matrosen verwundet, ihr Blut vermischt mit dem blutroten Meer .
Tika! Sie ist in seiner Nähe. Er zieht sie zu sich. Sie schnappt nach Luft. Aber er kann sie nicht festhalten. Das wirbelnde Wasser reißt sie aus seinen Armen und zieht ihn nach unten. Dieses Mal findet er die Oberfläche nicht mehr. Seine Lungen brennen, platzen. Tod... Ruhe... süße, warme . . .
Aber immer diese Hände! Sie ziehen ihn zurück zu der grauenhaften Oberfläche. Lassen ihn die brennende Luft einatmen. Nein, laß mich los!
Und dann andere Hände, die sich aus dem blutroten Wasser strecken. Feste Hände, sie ziehen ihn nach unten. Er fällt nach unten... unten... in die barmherzige Dunkelheit. Geflüsterte Worte der Magie besänftigen ihn, er atmet... atmet Wasser... und seine Augen sind geschlossen... das Wasser ist warm und tröstlich . . . Er ist wieder ein Kind.
Aber nicht ganz. Sein Zwillingsbruder fehlt.
Nein! Erwachen ist qualvoll. Laß mich für immer in diesem dunklen Traum schweben. Besser als der stechende, bittere Schmerz.
Aber die Hände ziehen ihn. Die Stimme ruft ihn.
»Caramon, ich brauche dich . . .«
Tika.
»Ich bin zwar kein Kleriker, aber ich glaube, es geht ihm gut. Laß ihn ruhig schlafen.«
Tika wischte schnell ihre Tränen weg, versuchte, stark und beherrscht zu erscheinen.
»Was...was war denn mit ihm?« Sie versuchte, ruhig zu fragen, konnte aber ein Schaudern nicht unterdrücken. »War er verwundet, als das Schiff... in den Strudel geriet? Seit Tagen ist er in diesem Zustand! Seitdem du uns gefunden hast.«
»Nein, ich glaube nicht.Wenn er verwundet gewesen wäre, hätten die Meer-Elfen ihn geheilt. Das war etwas anderes. Wer ist dieser Raist, von dem er immer spricht?«
»Sein Zwillingsbruder«, antwortete Tika zögernd.
»Was ist geschehen? Ist er gestorben?«
»Nein...nein. Ich bin mir nicht sicher, was geschehen ist. Caramon
hat seinen Bruder sehr geliebt, und er... Raistlin hat ihn verraten.«
»Ich verstehe.« Der Mann nickte ernst. »So etwas geschieht dort oben. Und du fragst mich, warum ich hier unten lebe.«
»Du hast sein Leben gerettet!« sagte Tika. »Und ich kenne dich nicht... deinen Namen.«
»Zebulah«, antwortete der Mann lächelnd. »Und ich habe nicht sein Leben gerettet. Er ist aus Liebe zu dir zurückgekehrt.«
Tika senkte ihren Kopf, ihre roten Locken verbargen ihr Gesicht. »Ich hoffe es«, flüsterte sie. »Ich liebe ihn so sehr. Ich würde für ihn sterben, wenn es ihn retten könnte.«
Da sie jetzt sicher war, daß mit Caramon alles in Ordnung war, richtete Tika ihre Aufmerksamkeit auf diesen seltsamen Mann. Er war mittleren Alters, glatt rasiert; seine Augen waren so weitherzig und offen wie sein Lächeln. Er war ein Mensch und in die rote Robe gekleidet. Beutel hingen an seinem Gürtel.
»Du bist ein Magier«, sagte Tika plötzlich. »Wie Raistlin!«
»Ah, das erklärt alles.« Zebulah lächelte. »Als er mich in seinem Dämmerzustand gesehen hat, muß er sich an seinen Bruder erinnert haben.«
»Aber was machst du hier?« Tika sah sich zum ersten Mal in der seltsamen Umgebung um.
Sie hatte sie natürlich schon gesehen, als der Mann sie hierhergebracht hatte, aber in ihrer Sorge hatte sie nichts wahrgenommen. Jetzt bemerkte sie, daß sie sich in einer Kammer eines zerstörten Gebäudes befanden. Die Luft war warm und stickig. Pflanzen wuchsen üppig bei der feuchten Luft.
Es gab
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