Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
verfolgt und wirkte nach wie vor angespannt, doch Andrej suchte vergebens nach Furcht in ihren ebenso dunklen wie schönen Augen. »War das wirklich dein Vater?«, fragte er. »Was geht dich das an?«
»Ihr seid Schwindler«, sagte Abu Dun, als wäre das allein schon Grund genug.
»Und auch das geht euch nichts an«, sagte sie zornig.
»Aber wir sind keine Schwindler.« Sie funkelte Andrej an.
»Und jetzt lass mich los! Du und dein Freund habt schon genug Schaden angerichtet!«
»Schaden?«, ächzte Abu Dun. »Also mir kam es so vor, als hätten wir dir gerade das Leben gerettet, Mädchen.
Aber ich kann mich natürlich auch täuschen. Wer weiß, vielleicht hätten sie dich ja gar nicht getötet. Weißt du, was sie mit Frauen machen, die sie für ehrlos oder für Verbrecherinnen halten?«
»Niemand würde es wagen, mich anzurühren«, behauptete sie. »Ich stehe unter dem Schutz des Machdi!«
Erneut versuchte sie sich loszureißen, hielt dann aber inne.
Ein Ausdruck von Verwirrung huschte über ihr Gesicht, als sie wieder auf Andrejs Hand hinabsah, die zu zerfleischen sie sich gerade so große Mühe gegeben hatte. Die tiefen Kratzer hatten aufgehört zu bluten, und wenn man es genau nahm, dann sahen sie auch gar nicht mehr so tief aus.
Andrej zog die Hand zurück und griff mit der anderen unter den Mantel. Ganz kurz flackerte Furcht in den Augen der schönen Unbekannten auf, als sie dabei das Schwert sah, das er darunter trug, doch Andrej zog nur ein sauberes Tuch hervor.
»Versuch erst gar nicht wegzulaufen«, sagte er, während er es zu einem improvisierten Verband um seine Rechte wickelte.
Das Mädchen machte auch keine Anstalten zu flüchten, sondern überraschte ihn damit, seinen ungelenken Bemühungen, den Verband mit nur einer Hand zuzuknoten einen Moment lang stirnrunzelnd zu folgen und die Sache dann selbst in die Hand zu nehmen – wortwörtlich. »Warum sollte ich weglaufen?«, fragte sie. »Ihr könnt mir nichts tun. Der Machdi schützt mich!« »Wir haben auch nicht vor, dir etwas zu tun«, antwortete Andrej, und Abu Dun fügte mit einem fast liebenswürdigen Lächeln, in die Runde deutend, hinzu: »Wir könnten einfach gehen und dich denen da überlassen.« Die Menge hatte sich zum Großteil zerstreut, nachdem das morbide Schauspiel vorüber war, doch etliche Männer waren geblieben und starrten die junge Frau finster an. Vermutlich war es allein Abu Duns beeindruckende Erscheinung, die den einen oder anderen davon abhielt, seinen Unmut an ihr auszulassen. Als er keine Antwort bekam, sah sich Abu Dun mit theatralischen Gesten in alle Richtungen um und fügte dann hinzu: »Und wo ist dein geheimnisvoller Beschützer, Mädchen, dieser … Machdi?«
»Mein Name ist Murida, nicht Mädchen«, antwortete sie, während sie die Enden des Verbands mit einem weitaus härteren Ruck verknotete, als nötig war. Andrej tat ihr den Gefallen so zu tun, als überliefe sein Gesicht ein schmerzerfülltes Zucken. »Und ihr werdet ihn noch eher kennenlernen, als euch lieb ist. Vor allem du, schwarzer Mann!« Sie funkelte Abu Dun an. »Dass dieser Ungläubige Hand an eine Jüngerin des wahren Propheten legt, wundert mich nicht. Aber du, ein Mann aus unserem Volk?«
»Wer sagt dir, dass ich nicht glaube?«, fragte Andrej, und Abu Dun fügte mit einem breiten Feixen hinzu: »Die Frage ist nur, woran.«
»Du wirst für das bezahlen, was du gerade getan hast, schwarzer Mann«, versprach Murida. »Niemand stellt sich gegen den Machdi, hörst du? Niemand!«
»Abu Dun«, antwortete der Nubier. Wieder fiel Andrej auf, wie sehr er einer großen Katze ähnelte, wenn auch jetzt einer, die allmählich Hunger bekam. »Mein Name ist Abu Dun, nicht schwarzer Mann.« Er deutete auf Andrej. »Das ist mein Herr, Massa Sahib Andrej. Nur damit dein Machdi auchweiß, nach wem er fragen muss, wenn er uns sucht.«
»Macht euch ruhig lustig«, sagte Murida. »Lacht, solange ihres noch könnt.«
Sie tat einen Schritt zurück und maß Andrej mit einem sehr langen Blick von Kopf bis Fuß, so als sähe sie ihn zum ersten Mal. Andrej versuchte in ihren Augen zu lesen, doch es gelang ihm nicht. Verwirrt, ja, sogar erschrocken, stellte er fest, dass sie in ihm etwas auslöste, das nicht sein durfte.
»Lasst ihr mich gehen, oder wollt ihr jetzt mit mir machen, was sonst die Soldaten des Sultans getan hätten?«, fauchte Murida.
Andrej konnte für einen Moment nicht anders, als ihren Mut zu bewundern – auch wenn es vermutlich eher der
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