Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
stets verwirrte sie das Muster der Ziegel im Hof. Sie ging an der Kante des Figurenbildes entlang. Das blaue Dreieck auf rotem Feld war ungleich. Sie überlegte sich, ob der Künstler, der es geschaffen hatte, die Asymmetrie bewußt angelegt hatte.
Als sie zur Vordertür gelangte, öffnete sich diese und ein Mann kam mit weiten Schritten heraus. Sie wichen voreinander zurück; mehr des Gleichgewichts wegen, denn aus Höflichkeit, ließ sich Sorren auf ein Knie nieder.
Das Duftwasser, das er trug, roch vertraut, und sie kniff die Augen zusammen. Tatsächlich, es war Isak. Und es war der Erntemonat; wieso war er nicht draußen auf den Feldern bei der Weinlese und überwachte die Pflücker? »Es tut mir leid, Herr«, sagte sie.
Er lächelte ihr zu. »Sorren.« Seine weiche Stimme erinnerte sie jedesmal an das Schnurren einer Katze. Er war nicht ärgerlich, natürlich nicht. Isak wurde niemals ärgerlich. »Du mußt vorsichtiger sein, Mädchen. Du würdest doch wohl nicht gern eines unserer erlauchten Ratsmitglieder aufs Kreuz legen, oder?«
»Nein«, antwortete sie.
»Natürlich nicht.« Er fuhr ihr leicht mit der beringten Hand übers Haar, dann ging er gemächlich quer über den Hof zum Tor hinüber. Sorren stand auf. Ihr linkes Knie tat weh, und sie rieb daran. Isak sprach kurz mit dem Torwächter, das Sonnenlicht schimmerte auf seiner blauen Seidentunika. Sie überlegte, ob er dem Mann wohl befahl, seinen Speer aufzunehmen.
Seine Muskeln hatten sich hart wie Ziegel unter seinem Hemd angefühlt, als sie gegen ihn geprallt war. Und jetzt würde Arré schlechter Laune sein; sie war immer seltsam mürrisch, nachdem sie mit Isak gesprochen hatte.
Sorren trat ins Haus. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatten. Es roch nach Lilien in der langen schmalen Eingangshalle. Sie standen in einer Lackvase auf einem Tischchen unter der Statue des Wächters. Es war eine neue Statue, und sie war ein Werk des Bildhauers Ramath, des Bildhauers, der die Errichtung des großen Wächterbildes im Tanjo geleitet hatte. Sorren verneigte sich vor dem Bildnis. Steinerne Lippen lächelten ihr zu. Steinaugen schimmerten.
Sie überlegte, was wohl mit der alten Statue geschehen sein mochte. Man hat sie doch sicher nicht zerbrochen, dachte sie, so wie man einen alten nutzlosen Topf zu Scherben schlägt. Das wäre dem chea gegenüber unehrerbietig. Sie lauschte, ob sie den Klang von Arrés Stimme im Arbeitsgemach hören könne. Am Morgen hatte Arré geplant, sich mit ihren Aufsehern zu treffen und die Pläne für ein paar Straßenerweiterungen zu besprechen. Aber es war kein Laut zu vernehmen. Sie spähte in den riesigen Raum hinein. Da war nur Elith und wischte Staub und brummelte in sich hinein, während sie das Tuch über die Wandschirme schob.
Elith war alt, von fetter Plumpheit wie ein Federbett und dazu noch taub. Aber sie war die Leibdienerin von Arré Meds Mutter gewesen, darum behielt Arré sie weiter im Haus. Sorren erhob die Stimme: »Elith! Weißt du, wo sie ist?«
Die Alte drehte sich langsam um. »Küche!«
Sorren ging zur Küche. Sämtliche Türen und Fenster standen weit offen, und Netze waren darüber gespannt, um die Fliegen fernzuhalten, aber der weite Raum war heiß, heißer noch als der Markt drunten. Arré stand da und redete mit dem Koch. Als Sorren eintrat, wandte sie sich um und fragte: »Nun, was hat der Fischhändler gesagt?«
Schweißtropfen brachen auf Sorrens Oberlippe aus, sie wischte sie fort. »Der Fischhändler hat gesagt, daß er keinen Barsch für dich bekommen kann, aber er kann Flundern besorgen.«
»Flundern sind gut genug.«
»Ja, das habe ich ihm auch gesagt.«
»Wie wünschst du sie zubereitet?« fragte der Koch.
»Das ist mir gleich. Nicht zu deftig gewürzt, das bitte ich mir aus. Marti darf keine scharfgewürzten Speisen essen.«
Marti Hok war eines der Ratsmitglieder. Und die Flundern sollten bei der Ratsversammlung gereicht werden. Der Koch nickte und begann die Hilfsköche anzubrüllen: Sorren erinnerte sich an die Zeit, da sie selber in der Küche gedient hatte. Sie hatte die Arbeit verabscheut. Einmal war sie, zu jedermanns Verdruß, ohnmächtig geworden. Die übrigen Küchenhelfer hatten sie noch wochenlang damit aufgezogen, daß sie Angst vor Blut habe, aber ihr war nicht von dem Blut schlecht geworden, sondern von der Hitze. Vielleicht waren es die Hitze und das Blut zusammen. Sie war Gerüchen gegenüber empfindlich, und in der Küche gab es davon
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